Pop-Neuerscheinungen:Das sind die Alben der Woche

Lesezeit: 4 min

Dita Von Teeses erstes Album hat sanft elektronische Bumms-Songs und fast alles, was man an Pop verachten kann. Der supererfolgreiche DJ Felix Jaehn positioniert sich als Frank Farian unserer Tage.

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Car Seat Headrest - "Twin Fantasy" (Matador/Beggars)

Auf eine bisher zwar relativ kurze, aber beeindruckend produktive Karriere kann der Amerikaner Will Toledo zurückblicken. Unaufhaltsam scheinen die klugen und schmerzlich intimen Indierock-Songs, die er als Car Seat Headrest macht, aus ihm herauszusprudeln. Die seltsam bekloppte Idee, sich nach der Kopfstütze eines Autositzes zu benennen, geht auf die Anfänge zurück: Mit 18 begann Toledo seine Musik mit billiger Laptop-Software auf dem Rücksitz seines Kleinwagens aufzunehmen und lud bald ganze Alben auf die Künstlerplattform Bandcamp hoch.

Ein Jahr später entstand 2011 bereits Album Nummer Sechs: "Twin Fantasy" gilt mittlerweile nicht mehr nur unter frühen Fans als kleine, leuchtende Indie-Kultplatte der Nullerjahre. Die hat Toledo nun noch einmal komplett neu eingespielt. Die Überarbeitung, die zugleich eine Entstaubung und Perfektionierung ist, bringt die rührenden Lo-Fi-Songs auf "Twin Fantasy" (Matador/Beggars) zum Strahlen: die vielen schönen Melodien und komplexen Songstrukturen treten klarer hervor ohne das Rauschen, das über dem Original hing.

Trotzdem entfernt sich Toledo nie weit vom schrammeligen Gitarrensound, für dessen An- und Abschwellen er sich in "Beach Life In Death" sogar ganze 13 Minuten Zeit nimmt und der so wunderbar zur emotionalen Unordnung der Texte passt. Die kreisen in erstaunlich ungefilterten Momentaufnahmen um die Irritationen einer College-Liebe - mitsamt der sich daraus ergebenden Lektionen und hässlichen Wahrheiten. "I pretended I was drunk when I came out to my friends", singt er einmal, "and I laughed and changed the subject." Will Toledos Poesie ist seine Ehrlichkeit.

Annett Scheffel

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Dita Von Teese - "Dita von Teese" (Record Makers)

Natürlich Chanson. Natürlich französischer Touch. Natürlich Gehauche und Bezirze. Natürlich Songtitel wie "Rendez-vous", "My Lips on Your Lips", "Parfum", "Dangerous Guy" oder "La vie est un jeu", die in der richtigen Reihenfolge gelesen auf einer geraden Linie vom vogelbezwitscherten Kennenlernen ins auswattierte Schlafzimmer laufen. Natürlich also Klischee-Gewitter. Die Burlesque-Künstlerin Dita Von Teese hat schließlich ein Album gemacht. Was natürlich Blödsinn ist. Tatsächlich hat der französische Sänger Sébastien Tellier ein Album gemacht.

An sich sehr angenehm verstrahlte, sanft elektronische Bumms-Popsongs, die wie halbsedierte dicke Katzen durch die Szenerie flauschen - und dabei leider völlig egal sind. Das Album, das heißt wie die Interpretin, ist nämlich eine dieser Pop-Kollaborationen, bei denen jemand, der was kann, Musik für jemand schreibt, der bestimmt auch was kann, aber halt weder singen noch Gefühl abseits von "Oh la la" transportieren. Er habe, hat Tellier gesagt, nach jemand gesucht, der "schön und einzigartig" ist. Wie Frauen eben zu sein haben. Ja, "Dita Von Teese" (Record Makers) hat fast alles, was man an Pop verachten kann.

Jakob Biazza

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Felix Jaehn - "I" (Virgin)

Manchmal ist es ja interessant, Künstlern zuzuhören, die eigentlich keine künstlerische Vision haben, außer der, dass sie genau das, was gerade eh schon angesagt ist, auf maximal deutsche Weise hoch in die Charts bringen wollen. Der Produzent Frank Farian entwickelte darin eine gewisse Meisterschaft. Was er mit den Musikstilen Disco (Boney M.) und Achtzigerjahre-R&B (Milli Vanilli) anstellte, war im Grunde nichts anderes als eine Verschlagerung (oder Schlagerisierung?) amerikanischer, schwarzer Musikstile. Felix Jaehn macht heute dasselbe, nur eben mit den aktuellen Pop-Stilen, also: Deep House, Afrobeat, Reggaeton.

Der historische Fortschritt besteht vielleicht darin, dass der 23-jährige DJ und Produzent von der Lübecker Bucht, anders als damals Farian, mit dem eigenen Gesicht für seine Sache einsteht. Auf "I" (Virgin), Jaehns erstem Album, hört man also fast nichts, was man nicht schon mal gehört hätte. Aber beim ersten Track macht Gucci Mane mit, "Cool", und wenn ein echter berühmter amerikanischer Rapper mitmacht, dann muss es ja cool sein, Wahnsinn. The Weeknd hatte leider keine Zeit (oder war zu teuer), dafür singt bei "Don't Say Love" ein Gastsänger namens Rothchild, der genauso klingt wie The Weeknd.

Wiedererkennbarkeit ist wichtig. Deswegen gibt es auf "I" auch viele karibische Steeldrum-Sounds zu hören, so wie 2015 in Jaehns "Cheerleader"-Remix für den jamaikanischen Sänger OMI, der in den USA ein Nummer-1-Hit und für Jaehn der Kick-off seiner Karriere wurde. Wobei: Klingt die Steeldrum bei Jaehn nicht so clean und sandgestrahlt und total ingenieursmäßig eingepasst, dass sie fast schon ... deutsch klingt? Es bestätigt sich der Eindruck, der auch in Tracks wie "Honolulu" entsteht: In Deutschland sehnt man sich nach der großen weiten Welt, aber sie soll doch bitte so klingen wie zuhause.

Jan Kedves

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U.S. Girls - "In A Poem Unlimited" (4AD)

An alle Unbelehrbaren, die immer noch glauben, Feminismus könne niemals sexy sein, eine wichtige Nachricht: Bitte unbedingt "In A Poem Unlimited" (4AD) hören, das neue Album von U.S. Girls. Unter diesem Namen nimmt Meghan Remy nun schon seit beinahe zehn Jahren kleine fiese Platten auf, um dem Pop langsam aber zielstrebig ein paar neue weibliche Vorbilder einzufüllen. Auch das sechste Album von U.S. Girls steckt voller wütender Geschichten von wütenden Frauen. Frauen, die "Mad As Hell" sind. Frauen, die sich fragen: "Why Do I Lose My Voice When I Have Something To Say". Es geht um häusliche Gewalt, um den Lover, der nur an sich denkt und liebt wie ein Stein, oder um die Rachefantasie eines Gewaltopfers, das die Verhältnisse umkehrt - und von der Beute zur Jägerin wird. Das alles ist wie immer wahnsinnig klug erzählt.

Neu ist nun aber, dass Remy ihre Selbstermächtigungsmanifeste gegen die Unterdrückung mit richtig fein groovenden Popsongs umkleidet. Superschmierigen, supersexy Popsongs voller dampfig wabernder Gitarren, schmatzenden Saxofonen und Bongo-Beats. Popsongs, die am Ende bei all dem Hass, der Wut und dem Schmerz von einer besseren Welt für alle träumen: "No one needs to make a profit/ No one needs to get paid/ If we all agree we don't have to live that way". Die Revolution wird nicht im Fernsehen übertragen, schon klar. Aber die Revolution wird getanzt.

Julian Dörr

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