Pop-Event "One World: Together At Home":Zeig mir deine Topfpflanze

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Wie "Live Aid", nur leider doch ganz anders: Beim Netz-Konzertabend "One World: Together At Home" versuchen sich Popstars wie Lady Gaga, Stevie Wonder, die "Killers" und die "Rolling Stones" am virtuellen Gemeinschaftsgefühl.

Von Jan Kedves

"You Can't Always Get What You Want": Die Rolling Stones bei ihrem digitalen Auftritt, zusammen und doch räumlich getrennt. (Foto: Getty Images)

Wofür braucht die Welt in Zeiten von Corona überhaupt noch Stars? Die Frage wurde zuletzt in einigen internationalen Medien, etwa im Guardian und der New York Times, durchaus mit Ernst gestellt. Aufgehängt war sie an der Beobachtung, dass viele Celebrities gerade offenbar gar nicht gut damit zurechtkommen, dass sie aufgrund der Pandemie ihrer Auftrittsmöglichkeiten und ihres täglichen Applauses beraubt sind. Finanziell geht es ihnen sicher noch nicht ans Eingemachte, aber in den sozialen Medien entwickeln sie einen Dauerhang zum Selbstmitleid, welches sich als Sorge um die Welt tarnt. Besonders unerträglich war Ende März das Video, in dem die "Wonder Woman"-Darstellerin Gal Gadot mit Promis wie Zoë Kravitz, Norah Jones und Will Ferrell versuchte, den John-Lennon-Klassiker "Imagine" zu singen und dabei ganz viel Erbaulichkeit in ihn hineinzulegen. Wollten sie der Welt so Hoffnung machen, oder ging es nicht eher darum, sich selbst halt ein bisschen zu beschäftigen und auch mal wieder in Erinnerung zu rufen? Sehr peinlich.

Vor diesem Hintergrund konnte einem der achtstündige Streaming-Marathon "One World: Together At Home", der am Samstagabend von 20 Uhr deutscher Zeit bis um 4 Uhr morgens durchs Netz lief, wie ein groß angelegter Versuch vorkommen, die enorme Wichtigkeit von Stars unter Beweis zu stellen. Wie sie mit den Mitteln der Musik und allein mit ihrer Relevanz Trost und Zuversicht spenden können! Wie sie mit ihren Stimmen und ihren Instrumenten die Welt zusammenrücken lassen! Und wie sie dabei für den "Solidarity Response Fund" der WHO werben können! Stevie Wonder, Jessie J, Sheryl Crow, Zucchero, Adam Lambert, Billy Ray Cyrus und viele, viele andere Größen des Pop machten mit - manche auf Einladung von Lady Gaga, andere auf Einladung von Global Citizen, einer NGO aus New York. Sie alle sendeten ihre Songs oder Gruß- und Dankesbotschaften aus Wohnzimmern, Heimstudios oder von ihren Terrassen mit Pool aus, oder vom Trampolin im Garten.

Die Soundqualität war sehr schlecht. Alle betonten, dass es natürlich nicht um sie gehe, sondern um die wahren Stars der Krise, die großen Helden der Corona-Zeit: die Ärzte, die Krankenschwestern, die Pfleger und alle, die seit Wochen in aufopfernder Rund-um-die-Uhr-Arbeit an die Grenzen ihrer eigenen Gesundheit gehen. Leider gab es abgesehen von solchen Allgemeinplätzen wie "Wenn wir alle zusammenhalten, schaffen wir das!" oder "Wir müssen unbedingt unsere Gesundheitssysteme stärken!" aber kaum Forderungen oder Vorschläge, wie man sich nach der Krise zum Beispiel besser gegen Virenangriffe wappnen könnte. Oder wie systemrelevante Berufe angemessen zu entlohnen seien. Aber wollte man die Corona-Zeit nicht auch dazu nutzen, nicht immer gleich wieder so streng und kritisch zu sein?

Die Stars predigten Isolation, die deutschen Teilnehmer rückten möglichst eng zusammen

Es gab auch Höhepunkte im Programm, aber sie waren rar: Die R'n'B-Sängerin Lizzo legte am Klavier vor ihrer Webcam soviel Blues und Schmerz in ihre Interpretation von Sam Cookes Bürgerrechtsbewegungs-Hymne "A Change Is Gonna Come", dass vom Wechselbad der Verzweiflung und der Hoffnung, wie es die vergangenen Wochen prägte, viel spürbar wurde. Die Popsängerin Christine and the Queens präsentierte in ihrem weiß gestrichenen, ein wenig einer Gummizelle ähnelnden Studio zu ihrem Song "People, I've Been Sad" einen fast erotischen Paartanz mit ihrem Mikrofon. Die Französin schien, anders als die meisten Beitragenden, tatsächlich darüber nachgedacht zu haben, wie sich - ganz allein und mit reduzierten elektronischen Mitteln - eine Performance hinlegen ließe, die auch visuell packt und die nicht einfach nur einen dummen Akustik-Authentizismus reproduziert. Dieser schien nämlich den meisten Darbietungen doppelt zugrunde zu liegen, nach dem Motto: In einer ernsten Zeit wie dieser wollen wir lieber gar nicht so viel Show machen, das könnte ja unernst wirken. Und außerdem: Was sollen wir denn allein zu Hause mehr tun als auf der Gitarre herumzuklampfen (Jessie Reyez) oder am Klavier sitzend so zu tun, als könnten wir tatsächlich Klavier spielen (sehr lustig: Kesha).

Es gab keine interessanten Video-Animationen, es wurden kaum Tänzer eingeblendet, auch trug fast niemand interessante Kostüme oder gar extravagante Verkleidungen. Charlie Puth sendete einfach aus dem Jugendzimmer zu Hause bei seinen Eltern, er hatte nicht mal das Bett gemacht! Ja, müssen denn jetzt schon ganz normale Corona-Heimarbeiter, die in den vergangenen Wochen lernten, wie man in digitalen Video-Kommunikations-Apps wie Zoom oder Jitsi die Hintergründe austauschen kann, den großen Popstars erklären, wie simpel sich aus der Langeweile des eigenen Zimmers per Knopfdruck zum Beispiel die Star-Trek-Kommandobrücke machen lässt?

Als Zuschauer konnte man daher nicht anders, als irgendwann die Inneneinrichtungen zu vergleichen. Die Schauspielerin Kerry Washington - sie schaltete sich für eine Stunde als Moderatorin zu - gehört zu den Menschen, die ihre Bibliothek nicht alphabetisch sortieren, sondern nach den Farben der Buchrücken. Der Schauspieler Matthew McConaughey, ebenfalls für eine Stunde Moderator, hat einen sehr großen Drucker. Kesha und The Killers setzen sich zum Musizieren gerne vor ihre ausladenden Kamine. Topfpflanzen scheinen bei Stars beliebt zu sein, besonders Zimmerpalmen. Und Haustiere? Es waren fast keine zu sehen. Wurden sie weggesperrt? Oder haben Stars gar keine Haustiere, weil sie, wenn nicht gerade ein Virus um die Welt geht, ja fast nie zu Hause sind? Den meisten schien es in ihren gut ausgepolsterten, bisweilen arg geschmacklos dekorierten Großraum-Apartments und Villen ziemlich gut zu gehen.

Das Ganze war also ermüdend, und vielleicht blieb man nur deswegen wach, weil man insgeheim davon ausging, dass Lady Gaga, die Kuratorin der siebten und achten Programmstunde, zum krönenden Abschluss einen nagelneuen, kollektiven Weltumarmungs-Hit präsentieren würde. Einen Song, der die Lage in etwa so fassen könnte, wie die Supergroup-Benefiz-Singles "Do They Know It's Christmas (Band Aid) und "We Are The World" (USA for Africa) in den Achtzigerjahren die Sorge um die Hungerkatastrophe in Äthiopien fassten. Aber nein, Lady Gaga hat nicht zusammen mit Elton John einen neuen Hit geschrieben und von einem virtuellen Chor von 30 Popstars einsingen lassen. Sie sang nur mit bei einer etwas umgetexteten Version des Hits "The Prayer" von Andrea Bocelli und Céline Dion. Die boten ihren Schmalzbrocken von 1999 selbst dar, unterstützt auch noch durch John Legend und Lang Lang. Insgesamt war das also ein Schlussquintett. Das Wort "faith" (Glaube) ersetzten sie durch "space" (Raum), sodass es hieß: "Give us space so wel'll be safe" - gib uns Raum, damit wir sicher sind. Es war nicht die einzige Anrufung des Herrn an diesem Abend.

Hoffentlich kommt niemand auf die Idee, die Festival-Saison nach diesem Vorbild zu gestalten

Wenigstens hielten sich dabei alle an die neuen Regeln: Die fünf Stars spielten, beziehungsweise sangen, ihren Beitrag jeweils aus der Heimisolation heraus. Die digitale Technik fügte alles zusammen. Sogar die Rolling Stones hatten zuvor das virtuelle Zusammenspiel - vereint im Split Screen, aber eben auch getrennt durch den Split Screen - problemlos hinbekommen. Sie spielten ihren Klassiker "You Can't Always Get What You Want" (eine Atemschutzmaske?), und besonders schön dabei war, wie Charlie Watts in seinem Rechteck rechts unten auf ein paar Instrumentenkoffern und einem Polstersessel herumtrommelte und grinste. Lässig, wie immer.

Und doch war auch dieser Auftritt eher kein erfolgreicher Testlauf dafür, wie sich eventuell in einer noch länger andauernden Isolationszukunft superspannende Mega-Pop-Events durchführen ließen. Mit anderen Worten: Sollte jemand auf die Idee kommen, dass "One World: Together At Home" ein Beispiel dafür war, wie man auch die über den Sommer ausfallenden Festivals im Netz übertragen könnte: Nein, das wäre gar keine gute Idee.

Das Duo Milky Chance aus Kassel, der einzige deutsche Beitrag zu diesem Spektakel der Irrelevanz, schien der Split-Screen-Technik von vornherein kritisch gegenüberzustehen. Wie die HNA, die Regionalzeitung aus Kassel, am Samstag vorab berichtete, war dasjenige Mitglied des Duos, das inzwischen in Berlin lebt, extra für die Darbietung des Hits "Stolen Dance" zurück in die Heimat gereist. Milky Chance saßen also nebeneinander in ihrem Studio vor der Webcam und missachteten, unbewusst oder demonstrativ, alle zuvor und danach von den Stars geäußerten Appelle an die Weltöffentlichkeit, außerhalb des eigenen Hausstands unbedingt Sicherheitsabstand zu halten. Es mochte einen zurück zur Eingangsfrage bringen: Wofür braucht die Welt gerade Stars?

© SZ vom 20.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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