Pop:Der Trick

Lesezeit: 3 min

Was sie täglich bei ihrer Arbeit in einer Bar erlebte, machte sie so wütend, dass sie begann, Songs darüber zu schreiben: Stella Donnelly. (Foto: Pooneh Ghana)

Die australische Songwriterin Stella Donnelly singt hinreißend sanfte Indiefolk-Popsongs - über sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Frauen.

Von Annett Scheffel

Angefangen hat alles in einer Bar in Perth. Aber nicht so, wie man sich das vorstellt. Es gab keine zigarettenrauchschwere Luft am Tresen und drei Bier und ein tiefsinniges Gespräch darüber, jetzt selbst Songs zu schreiben. Nein, Stella Donnelly arbeitete in der Bar. Und was sie hier Abend für Abend erlebte, was viele Frauen auf der ganzen Welt Abend für Abend erleben, machte sie so wütend, dass sie einen Song darüber schrieb: über das anzügliche Verhalten der männlichen Gäste, über die Hände, die nach ihrem Körper langten. Zur langsamen Akustikgitarre zählt sie mit lieblicher Stimme die herablassenden Sprüche auf wie die Tagesangebote der Barsnacks: "I'll be your darling, tits, legs, honey, sweet pea" - Schätzchen, Titten, Beine, Süße, Liebling, mehr ist sie für die Männer nicht, weswegen das dringende Bedürfnis nach einer eigenen Machtdemonstration entsteht und danach, sie alle abzuschütteln, wie ein mechanischer Bulle seine Reiter: "I'm gonna throw you all off me like a mechanical bull, and you'll be sorry". Die australische Songwriterin hat ein untrügliches Gespür für solche Pointen.

Stella Donnelly singt Songs über sexuelle Belästigung und Gewalt. Aber eben keine lauten Post-Punk-Songs wie damals die Riot Grrrls in den Neunzigern. Sondern hinreißende Folk-Popsongs, absichtlich etwas wacklig produziert, mit sanften Akustikgitarrenparts, süßen, meist langsamen Melodien und vielen klugen Pointen. Aus diesem Kontrast beziehen Songs wie das beschriebene "Mechanical Bull" (erschienen 2018 auf der EP "Thrush Metal") ihre Brillanz und Spannung: hier die Zartheit der Musik, die schmeichelnde Gesangsstimme, dort die Angriffslust, der Trotz, die Furchtlosigkeit, die Dinge beim Namen zu nennen. Stella Donnelly spricht davon in Interviews als ihrem Trick, mit dem sie Leute dazu bringen will, ihr zuzuhören.

Sie ist 25 Jahre alt, eine Millennial-Frau, sie gehört zur ersten Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist. Der Feminismus, von dem ihre Songs erzählen, ist eine neue Form von Entschiedenheit: Er ist immer noch Kampf, aber weniger wütend, eher eine Sache der Selbstverständlichkeit. Ein Feminismus, der sich in Zeiten von Tinder-Dating und Trump bewähren muss - und von dem die Songs auf Donnellys gerade erschienenen Debütalbum "Beware of the dogs" (Secretly Canadian) genauso handeln wie von all den anderen Kompliziertheiten im Leben einer jungen Frau: Heimweh, das Verliebtsein, das Frustriertsein, verkorkste Verabredungen, Trennungen, das Auseinanderdriften alter Freundschaften und, ja, auch Politik. Bei Donnelly entsteht daraus eine Sammlung von brutal aufrichtigen akustischen Folksongs, die nüchtern sind und scharfsinnig.

Bestes Beispiel ist "Boys Will Be Boys", jene Single, mit der Stella Donnelly im Herbst 2017 eine gewisse Bekanntheit erreichte und die von der Vergewaltigung einer Freundin handelt, beziehungsweise von der Täter-Opfer-Umkehr und der Logik einer immer noch weitverbreiteten Rape Culture: "Why was she all alone? / Wearing her shirt that low / And they said boys will be boys / Deaf to the word no", singt sie im Refrain - Jungs sind nun einmal so, beschwichtigen die Leute, sie verstehen das Wort Nein nicht - und warum war sie überhaupt allein unterwegs? Donnelly singt davon mit klarer, heller Stimme, durch die immer mal wieder ein leises Vibrato flattert. Es könnte - würde man den Text austauschen - eine dieser schönen, fragilen Liebesballaden von Laura Marling oder Lisa Hannigan sein. Entwaffnend an "Boys Will Be Boys" ist aber vor allem seine unmissverständliche Anklage. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung vervielfachte die Wirkung des Songs: "Boys Will Be Boys" erschien im Herbst 2017, noch bevor die Anschuldigungen gegen Harvey Weinstein laut wurden. Damit gehört Stella Donnelly zu einer immer größer werdenden Zahl von Popkünstlerinnen, die Inhalte der "Me Too"-Debatte in ihrer Musik verhandeln. Nicht, dass sexuelle Gewalt und Sexismus nicht auch schon vorher in Popsongs thematisiert wurden wäre, aber endlich werden diese Stimmen wirklich gehört und immer mehr: Allein im vergangenen Jahr gab es Janelle Monáes Vagina-Hosen-Video "Pynk", Jenny Wilsons Vergewaltigungs-Elektro-Single "Rapin*" oder Courtney Barnetts Nachts-im-Park-Indie-Angstszenario "Nameless, Faceless".

Die besten Pointen hat aber selbst in diesem illustren Kreis Stella Donnelly. Jeder einzelne der 13 Songs auf "Beware Of The Dogs" ist voller Humor und Verletzlichkeit, voller schlagfertiger feministischer Drehungen und Wendungen. Gleich im ersten Song "Old Man" verteidigt sie eine andere Frau gegen die Zudringlichkeiten eines alten Mannes: Sie werde es Ehefrau und Kindern erzählen, warnt sie in der ersten Strophe, um dann in der zweiten deutlich zu werden: "Your personality traits don't count if you put your dick in someone's face" - deine anderen Persönlichkeitsmerkmale zählen gar nichts, wenn du einer Frau deinen Penis ins Gesicht hältst. Dazu schaukeln sonnige und beschwingte Gitarren durch den Song. Donnelly liebt diese unvermittelten Schocks, sie sind ihre schärfste Waffe.

© SZ vom 26.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: