Pop:Der Soul des Prinzen von Burundi

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JP Bimeni stammt aus der Königsfamilie des ostafrikanischen Kleinstaates und entkam Attentatsversuchen. In London verarbeitet er seine Geschichte in mitreißender Musik.

Von Jan Kedves

Wenn das Debütalbum eines in Burundi geborenen Soul-Sängers beworben wird mit dem Slogan, dass hier der neue "brüllende Löwe von Afrika" zu hören sei, sollte man wohl peinlich berührt sein ob der Unverfrorenheit, mit der das Weltmusik-Marketing mit völlig überkommenen Klischees aus einem Individuum den Stellvertreter eines ganzen Kontinents macht. Der von seinem Label so getaufte Sänger - er heißt JP Bimeni, und sein Album "Free Me" (Tucxone Records) ist kürzlich erschienen - findet das aber halb so wild. "Das soll halt ein Spitzname sein. Ich frage mich nur, woher die wussten, dass ich als Kind 'Mudibu' gerufen wurde? Das bedeutet bei uns 'das Brüllen des Löwen'", sagt er.

JP Bimeni ist ein großer, sehr schlanker und fein schmunzelnder Mann. Er singt mit einer für die Soul-Musik absolut wichtigen Mischung aus Butterweichheit und Kratzen in der Kehle. Man könnte an Otis Redding denken, wobei die Assoziation wohl auch von dem warmen Vintage-Sound kommt, den die spanische Band The Black Belts gut draufhat.

Mit ihr zusammen hat JP Bimeni - das JP steht für Jean Patrick - sein Album eingespielt. Fette Bläsersätze, federnder Bass, alles klingt schön knackig und tight, und die Texte packen einen mit der Suche nach Liebe, Sinn, Freiheit. Einige Songs sind von BBC Radio 2, Deutschlandfunk und Worldwide FM schon in die Playlists genommen worden. Beachtlich für einen Newcomer, der nicht mehr ganz so jung ist. JP Bimeni ist 41. Wie wichtig ist bei ihm die Geschichte - das, was vor der Musik kam und in die Songs und Stimme mit einfließt?

Der Attentäter wollte ihm noch eine Kugel in den Kopf jagen, aber sein Magazin war leer

Essenziell. Schon lange war es beim Bestaunen eines Newcomers nicht mehr so richtig, die Biografie mitzuerzählen, ohne dass man dann aber - wie sonst so oft - den Eindruck bekäme, dass hier mit einer besonders harten Lebensgeschichte nur die Musik interessanter gemacht werden soll, als sie es in Wirklichkeit vielleicht ist.

JP Bimeni lebt im Süden von London, in Brixton. Nach Großbritannien floh er 1993, vermittelt durch ein Stipendienprogramm der Vereinten Nationen. In Burundi hatte man dreimal versucht, ihn zu ermorden. Anfang der Neunzigerjahre war das, als die Spannungen zwischen den Hutu und Tutsi in dem Land so eskalierten, dass es mehrmals Putsche, Hinrichtungswellen und Genozide gab. JP war Teenager damals. "Erst gab es ein Massaker an meiner Schule, viele meiner Mitschüler starben oder wurden vergewaltigt", erzählt er.

Seit zwei Jahren hat JP Bimeni die britische Staatsbürgerschaft und ist somit noch viereinhalb Monate lang überzeugter Europäer. (Foto: Tomoko Suwa Krull/Tucxone Records)

"Das zweite Mal war ich mit meinem Roller unterwegs, und der Kämpfer einer Miliz zwang mich, ihn mitzunehmen. Dann wurde auf uns geschossen, eine Kugel traf mich an der Schulter, ich blutete schwer. Der Attentäter wollte mir noch eine Kugel in den Kopf jagen, aber sein Magazin war leer. Im Krankenhaus kam ich mit kollabierter Lunge wieder zu mir, und der belgische Arzt, der offenbar mit der Opposition sympathisierte, spritzte mir absichtlich Desinfektionsmittel. Das sollte mir den Rest geben, die Schwestern gaben mich schon auf. Aber ich sagte mir: Nein, so stirbst du nicht! Mein Bruder ließ mich dann über Beziehungen nach Nairobi ausfliegen, wo mir der Botschafter im Krankenhaus eröffnete, dass mein Name auf einer Todesliste steht."

Klingt unglaublich, ist aber wahr: ein Fluch des Blutes. JP Bimeni spricht darüber mit unfassbarer Gelassenheit. Seine Mutter stammt aus dem ehemaligen Königsgeschlecht Burundis, er steht in direkter Blutlinie mit Mwezi IV Gisabo (1840-1908). Der wird, so JP Bimeni, als "letzter König von Burundi" verehrt, auch wenn auf ihn bis 1966 noch zwei weitere Könige folgten, bis in dem Land die Militärdiktatur übernahm. Sie waren beide schon voll involviert in die Kolonialprojekte des Deutschen Reiches (Deutsch-Ostafrika, bis 1918) und der Belgier (Ruanda-Urundi, bis 1962). Wie überall in der Welt hat die Kolonialzeit in Burundi alles - das Machtgefüge, den ethnischen Frieden - durcheinander gebracht. Dort, wo Geschichte so unfassbar kompliziert ist und es fast keine Guten gibt, ist Unverwickeltheit ein kostbares, aber auch gefährliches Gut.

Fast alle Nachfahren der burundischen Königsfamilie leben heute im Exil in Frankreich. JP Bimeni hat noch Geschwister in Norwegen, Schweden, Kanada, Südafrika, Uganda. Nach Burundi zurückkehren könne er "höchstens heimlich", für kurze Zeit, ohne dass es jemand mitbekommt, sagt er. "Ich habe genug Drohungen bekommen. Selbst in London werde ich heute manchmal noch mit dem Tod bedroht."

Politik studierte er, aber seineProfessoren in Oxford fanden seine Fragen zu philosophisch

Musik kann eine Therapie sein, diese Binse bestätigt er gerne, "the whole way", voll und ganz. Songs zu singen, sei eine Möglichkeit, die eigene traumatischen Erfahrungen zu einer Geschichte zu machen. Zu etwas, das sich externalisieren lässt. Auf JP Bimenis Album lässt sich das aus einem Song wie "Pain Is the Name of Your Game" heraushören, oder aus dem Eröffnungs-Song "Honesty Is Luxury". In ihm geht es um ein Beziehungsdrama - oder um den Stolz eines Mannes, der dazu steht, der Musik irgendwann den Vorrang gegeben zu haben?

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JP Bimeni hat in Oxford Wirtschaft und Politik studiert. "Natürlich wollte ich damals verstehen, wie Macht und Gewalt funktionieren, die beiden Dinge, die die Menschheit kontrollieren", erklärt er. "Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass ich, um meinen Teil zur Welt beizutragen, es gar nicht so machen muss wie andere Afrikaner, die im Westen die großen Sachen studieren, um damit zurück nach Afrika zu gehen und dort dann die neue Führungselite zu bilden."

Seine Professoren in Oxford hätten seine Fragen immer "viel zu philosophisch" gefunden, erzählt er. Daran habe er gemerkt, dass ihm die Einheit von "mind, body and soul" wohl doch wichtiger sei als Wirtschaft, Profit, Macht. Bimeni greift sich an die Stirn, ans Herz und an den Bauch, während er das sagt, fast als wolle er ein Kreuz schlagen.

Heute ist er Vater von zwei Kindern. Seit zwei Jahren hat er die britische Staatsbürgerschaft und ist somit noch viereinhalb Monate lang - so wie es aussieht jedenfalls, am Sonntag stimmten in der EU 27 für den Austrittsvertrag, den Brexit - überzeugter Europäer. Die Entscheidung, Soul-Musik zu singen, sei ihm aber gar nicht leicht gefallen, erzählt er. "Soul erschien mir lange zu naheliegend für mich, abgesehen davon, dass ich vor den Soul-Größen so viel Respekt habe. Ich habe erst ein Rock-Projekt gegründet, manchmal singe ich mit einem anderen Projekt auch afrikanische Musik. Aber die Leute haben mich immer wieder ermutigt und mir gesagt: 'Du hast es, du hast Soul!' Inzwischen akzeptiere ich das, ich versperre mich dieser Kraft nicht mehr."

Die Soul-Power ist ja eine recht merkwürdige Kraft, sie speist sich aus dem Kampf um Anerkennung, Selbstbehauptung, Liebe und ja, manchmal auch das nackte Überleben. Dieser Kampf schlägt sich auf eine Weise Bahn, die beim Hörer nicht zu Unwohlsein führt, sondern zu Ergriffenheit und dem Gefühl menschlicher Verbundenheit. Dass das auch im Jahr 2018 noch bestens funktioniert, 50 Jahre nach Otis Redding, dafür ist JP Bimeni gerade das beste Beispiel.

"Es hat noch keinen Regen gegeben, der nicht irgendwann aufgehört hat", sagt er. Ein altes afrikanisches Sprichwort. Vielleicht werden ihm seine Songs ja tatsächlich helfen, auch in Burundi als Musiker so bekannt zu werden, dass er dorthin reisen und in Sicherheit auftreten kann? Am liebsten würde er Festivals in dem Land organisieren, andere Musiker mit einladen. Seine Stimme wäre dann wohl so etwas wie sein Schutz - oder wie das Brüllen eines Löwen.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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