Pop:Beats der Besessenheit

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Der Künstler FM Einheit will den Hass "zur Explosion bringen" (Foto: Lukas Stucki)

"Henker und Jäger" heißt ein experimenteller Liederabend über den Hass. Die Botschaft in der Muffathalle ist klar: Toleranz und Weltoffenheit

Von Jürgen Moises, München

"Hässlich, ich bin so hässlich, so grässlich hässlich: Ich bin der Hass!" So hat die Band Döf Mitte der Achtziger in "Codo" ein Phänomen besungen, das uns seit Jahren wieder in Form von Nationalismus, Rassismus oder Antisemitismus, Parolen auf der Straße oder der sogenannten Hate-Speech im Internet verstärkt beschäftigt. Eine Lösung bot das kabarettistisch angehauchte Schlagerliedchen damals auch an: die Liebe, die ein Wesen aus dem Weltall auf die Erde bringt. Wirklich ernst gemeint war das natürlich nicht. Da klingt das, was Mona Mur, Ticro Goto und FM Einheit zusammen mit En Esch und Simone Kermes an diesem Mittwochabend in der Muffathalle vorhaben, vielversprechender. Nämlich: den Hass "zur Explosion bringen".

"Henker und Jäger" heißt ihr vom Deutschen Musikfonds geförderter Liederabend "über den Hass als kollektive Besessenheit", der auf einer Idee von Mona Mur basiert. Die gebürtige Hamburgerin war in den Achtzigerjahren mit FM Einheit und Alexander Hacke als Mona Mur & Die Mieter in der Punkszene aktiv, zuletzt vorwiegend in der Gothic-Szene und als Komponistin für Film- und Videospiel-Musik etwa an Fatih Akins Gegen die Wand beteiligt. FM Einheit, der seit Jahren in der Nähe von Burghausen lebt, kennt man von seiner Zeit bei den Einstürzenden Neubauten und zahlreichen Solo- und Theaterprojekten. En Esch kommt als Musiker aus der Industrial-Ecke, Ticro Goto ist ein Berliner Kunsthistoriker und die in Leipzig geborene Simone Kermes eine renommierte Sopranistin.

Das, was sie nun als "elektro-akustische Hass Opera" zur Uraufführung bringen und später auch in anderen Städten zeigen wollen, hat, gibt Mona Mur zwischen den Proben am Telefon zu, klar mit Pegida & Co. zu tun. Es hatte aber zudem einen konkreten Auslöser: ein Audiosample, das vor einigen Jahren im öffentlichen Raum entstand. Man hört darauf eine junge Frau, die ihren Hass herausschreit und eine Meute damit "entzündet". Eine Aufnahme, die Mur lange mit sich herumtrug und in "Henker & Jäger" verarbeitet hat. Dort ist sie verfremdet mit weiteren Samples, eigenen und historischen Texten von Aischylos, Ezra Pound oder Nietzsche und begleitet von Stahlfeder, Sand, E-Gitarren oder Glockenspiel zu hören. In der Methodik sehen sich die Musiker dabei in einer Linie mit Bands wie Laibach, Einstürzende Neubauten oder Throbbing Gristle. "Wir kommentieren nicht, sondern lassen Dinge aufeinanderprallen und steigern das Ganze".

Auch anklagen oder denunzieren wollen sie nicht. Deswegen sei es auch nicht wichtig, wer wo und wann auf den Aufnahmen zu hören sei. "Das ist kein Agit-Pop, sondern mich hat der energetische Gehalt interessiert, der Wahnsinn, der sich da entfesselt hat. Das war wie eine Heavy-Metal-Gitarre, diese Frau, die sich so gesteigert hat, so geschrien, immer noch zorniger. Man ahnte gar nicht, wo sie das her nimmt". Diese Energie findet ihren Gegenpol im Gesang von Simone Kermes, die unter anderem "makellose Barock-Stücke" singen wird. Und gerade in diesem Kontrast sieht Mur auch das explosive Potenzial. "Es zerschellt alles an Frau Kermes".

Die Lieder haben sie und FM Einheit gemeinsam entwickelt. Er hat die Audiosamples gehört und irgendwann gemerkt, sagt er, dass die da "eigentlich Kinderlieder singen". Ansonsten habe ihn vor allem interessiert, warum man überhaupt anfängt, Menschen zu hassen. "Weil das Rezept ist eh klar: Weltoffenheit und Toleranz. Einander zuhören." Und trotzdem ist der Hass immer noch da.

Henker und Jäger. Ein Liederabend , Mi., 4. Dez., 20.30 Uhr, Muffathalle, Zellstr. 4

© SZ vom 04.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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