Pop:Auf rührende Art eben doch noch nicht tot

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Das heute erscheinende vierte Studioalbum "Father Of the Bride" der amerikanischen Indiepop-Band "Vampire Weekend" ist die kritische Tonspur zur sentimentalen Lähmung der Gegenwart.

Von Max Scharnigg

Wenn man der modernste Mann seiner Generation wäre, was würde man tun? Man wäre wohl nicht mehr Sänger in einer Band. Man wäre eher Erfinder einer Netflix-Serie. Würde für Apples Radiostream interessante Menschen interviewen. Zwischendurch mal einen Song für Beyoncé (und nur für sie) schreiben. Man würde sich auf Instagram ganz nebenbei mit einer Babytrage fotografieren, in der man später das Kind herumträgt, das man mit einer Frau hat, die älter und berufstätiger ist als man selbst. Und das Kind würde Isa-iah heißen. Wie der Prophet.

Ezra Koenig ist jetzt 35, und er hat all diese Dinge in den vergangenen Jahren gemacht. Er hat die Rolle des neuen, leisen, jungen Mannes perfekt vorgelebt. Er war ja schon mal fast ein Popstar, aber zwischenzeitlich klug und bescheiden genug einzusehen, dass in diesen Zeiten andere Menschen auf die Bühne gehören und die ganze WASP-Kultur ruhig mal die Klappe halten kann.

Er hätte also auch glaubhaft seine Projekte verfolgen und für immer im kleinen, sonnendurchfluteten Glück seiner neuen Heimat Los Angeles verschwinden können, aber jetzt ist nach einer sechsjährigen Ewigkeit doch wieder ein Album von Vampire Weekend entstanden. Wenngleich die Band mittlerweile eher ein loses Kollektiv ist, so sind etwa die Gastsängerin Danielle Haim und andere schöne talentierte Menschen umfangreich beteiligt. Auch das entspricht dem Zeitgeist, eingeschworene Männergrüppchen sind out. Das galt so streng noch nicht vor zwölf Jahren, als Ezra Koenigs Knabengesicht auch noch ganz der Wahrheit entsprach. Damals brachte der junge Student von der Columbia University mit seiner Band im Alleingang Cuteness und Leichtigkeit in die Popmusik zurück. Er tourte in Ralph-Lauren-Shirts und mit einer Handvoll Songs um die Welt, aus denen verspielt und smart das Obama-Amerika tönte. Und zusätzlich auch Tennismatches im Sonnenuntergang auf Long Island. Bunter, globalisierter Ivy-Pop war das, und die Millennials liebten ihn instinktiv und auf die Art, wie sie auch den Filmemacher Wes Anderson instinktiv lieben: Für den infantilen Ernst nämlich, die akademische Exzentrik und die gut bedienten Retromechanismen. Es war Musik für alle, die noch analog träumten und sich noch vage daran erinnern konnten, wie es sich anfühlte, in einem Auto auf der Rückbank das Fenster mit der Hand nach unten zu kurbeln.

Die veränderte und bedrohliche Gegenwart spielt eine zentrale Rolle

Das letzte Album von Vampire Weekend also erschien 2013 - im gleichen Jahr, in dem Netflix seine ersten großen Serien auf den Markt brachte. Danach hat sich die Welt bekanntlich schneller verändert als vorgesehen, und Popkultur wird seitdem eher nicht mehr in 3:20 Minuten für Gitarre geschrieben. Die Obama-Smartness hat nicht nachhaltig verfangen, bunt und globalisiert sind verdächtige Attribute geworden. Und ob die Sonne vor Long Island immer noch so untergeht, dass sich daraus ein punkiger Hula-Popsong schreiben lässt? Fraglich. Koenig jedenfalls hat Ostküste gegen Westküste getauscht und das Schnöseltum hinter sich gelassen, an dem sich die Kritiker so gerne abarbeiteten. Vielmehr spielt die veränderte und bedrohliche Gegenwart eine zentrale Rolle auf dem umfangreichen neuen Album, und gleich im zweiten und vielleicht schönsten Song "Harmony Hall" spendiert Ezra Koenig seiner Generation deshalb ein eindringliches Rechtfertigungs-Mantra: "I don't wanna live like this, but I don't wanna die." Voilà, das Lebensgefühl der westlichen Welt am Vorabend des Sommers 2019. In dem sich die Aufgeklärten zunehmend resigniert fragen müssen, warum sie nicht mehr dagegen unternehmen, dass ihre Systeme implodieren. Trump, Klimawandel, Neo-Nationalismus - man findet das nicht gut, aber was soll man machen? Achselzucken, Netflix gucken. Und in einer Serie wie "Stranger Things" versinken, in der Kinder der Achtziger das Böse noch besiegen können. "Things have never been stranger" lässt Koenig einen Chor singen, was als direkter Fingerzeig auf diese sentimentale Lähmung verstanden sein darf.

Es ist also ein Krisenalbum, dieses "Father Of the Bride", im Großen und im Kleinen. Die Leichtigkeit der frühen Jahre, die jugendliche Euphorie der Band sind dahin, und an ihre Stelle ist ein nachdenklicher Mann getreten, der um Platz und Identität in der Welt ringt. Koenig wirkt dabei wie eine Figur aus einem Roman von Jonathan Safran Foer: dysfunktional und irgendwie lächerlich, aber angenehm postironisch und auf rührende Art eben doch noch nicht tot. Zumal in vielen Songs auch seine jüdische Selbstsuche durchscheint. Koenig ist in einer Kleinstadt in New Jersey aufgewachsen und kann erst jetzt und mit Abstand benennen, wie ihn das Jüdischsein damals von den anderen Kids unterschieden hat. Das ist keine dogmatische Abrechnung, eher komisch, wenn er elegant Songzeilen einflicht wie: "Beneath the velvet gloves /I hide those crooked hands of the moneylender / cause I still remember." Oder wenn er im Video zu "Sunflower" mit Jerry Seinfeld in einem koscheren Deli rumhängt. Ein besonders zärtlicher Abschluss ist das Lied "Jerusalem, New York, Berlin". Selten wurde die Geschichte des letzten Jahrhunderts schöner und trauriger zusammengefasst, drei Städte, eine historische Kulturlandschaft, dank der alles entstanden ist, aber auch alles zerstört wurde. Da ist er dann doch wieder, der melancholische Elitestudent, der auf Ellis Island seinen eigenen und den Wurzeln der ganzen westlichen Zivilisation nachfühlt.

Die Musik ist nicht mehr der schnell skizzierte, helle Afro-Indiepop, sondern reifer und ruhiger. Koenigs gewachsene Begeisterung für großen amerikanischen Folkrock und Grateful Dead, aber auch Bands wie Guided by Voices und Pavement klingt an. Die Arrangements sind aufwendiger, geblieben ist sein erstaunliches Talent als Songwriter, dank dessen Ezra Koenig immer wieder in die Nähe von Paul Simon gerückt wird. Es trägt dazu bei, dass auch diese Platte mit 18 zum Teil sehr komplexen Songs und einem differenten Sound trotzdem noch eingängig und leicht wirkt. Die Hoffnung der Fans also, Vampire Weekend auch weiterhin bei Hinterhofparties auflegen zu können und die Menschen - trotz allem - zum Tanzen zu bringen, sie wird nicht enttäuscht. Ein paar wenige Dinge haben sich seit 2013 eben doch noch nicht geändert.

© SZ vom 03.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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