Platten-Design:Alphabet des Cool

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Wenige restaurieren ihr Archiv so liebevoll wie das Jazzlabel Blue Note. Jüngstes Glanzstück: eine Reihe mit den Covern des Grafikpioniers Reid Miles - der gar keinen Jazz mochte.

Von Andrian Kreye

Das Faszinierende an Gesprächen zwischen Nerds, also zwischen Menschen, die nicht verstehen, dass der Rest der Welt ihre Leidenschaft für ein sehr spezielles Thema nicht teilt, ist der ungefilterte Einblick in eine Nische. Wenn man beispielsweise das Video ansieht, in dem sich der Chef der Jazzplattenfirma Blue Note Don Was und der Tonmeister Joe Harley darüber unterhalten, wie man Alben für Wiederveröffentlichungen auf Vinyl restauriert. Dann versteht man, warum es neben der "Blue Note Tone Poet"-Reihe für Audiophile auch eine Serie gibt, die Werke von Reid Miles zusammenfasst.

Miles war kein Musiker, sondern Grafiker. Als erster seiner Zunft nahm er das Design und vor allem die Typografie beim Plattengestalten sehr viel wichtiger als die Musiker und die Musik. Und das zu einer Zeit, als es noch selbstverständlich war, dass auf einem Album von Frank Sinatra oder Elvis Presley ein Porträt des Künstlers zu sehen war. Aber warum sollte ein Grafiker nicht die gleichen Freiheiten haben wie die Musiker?

Und die hatten sie. Die Geschichte des Labels wurde oft erzählt. Von dem Berliner Kaufmann Alfred Löw, der vor den Nazis nach New York floh, sich Lion nannte und 1938 mit dem marxistischen Journalisten Max Margulis ein Jazzlabel gründete. Das er dann bis 1967 mit seinem Jugendfreund, dem Fotografen Frank Wolff, führte, der sich in Amerika Francis nannte.

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(Foto: Universal Music)

Blue Note Cover

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(Foto: Universal Music)

Blue Note Cover

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Blue Note Cover

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Blue Note Cover

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Blue Note Cover

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(Foto: Universal Music)

Blue Note Cover

Im Studio von Rudy van Gelder auf dem anderen Ufer des Hudson Rivers durften die Gründerväter des Modern Jazz wie Sonny Rollins, Thelonious Monk und Art Blakey mit Jüngeren wie Herbie Hancock, Lee Morgan und Joe Henderson in den Fünfzigern und Sechzigern eine neue Jazzmoderne begründen. Die war sehr viel ruhiger und intellektueller als die Ära des Bebop, weswegen die coole Ästhetik, die Reid Miles entwarf, so gut passte.

Label-Chef Don Was und Tonmeister Joe Harley legen im Archivraum Ehrfurcht an den Tag

Nicht ganz so bekannt ist die Wiedergeburt des Labels in den letzten Jahren. Die finanzielle Erholung mit den Erfolgen der Sängerin Norah Jones. Die Besetzung des Chefpostens mit Don Was, der bis dahin Leute wie die Rolling Stones, Elton John und Iggy Pop produziert hatte. Was erklärt, warum die Firma nun das Geld und den Willen hat, Neuauflagen in einer Qualität herauszubringen, die in der Flut der Re-Issues etwas ganz Besonderes sind. Weil der Markt für neu aufgelegte Jazzplatten vor allem aus süd- und osteuropäischen Ländern mit lieblosem Schrott geflutet wird, für den die Originale manchmal einfach von einer CD kopiert und die Cover mit Scannern reproduziert werden.

Don Was und Joe Harley stehen also im Archivraum von Blue Note zwischen Stahlregalen, auf denen die Tonbänder mit den Originalaufnahmen stehen. Man sieht ihnen die Ehrfurcht vor dem Ort an. Und merkt schnell, dass sich Harley jede Aufnahme viele Male anhört, bevor er sie zum Restaurieren ins Studio mitnimmt.

Er erklärt dann Don Was, welches Klangbild er anstrebt. "Van Gelder hat damals immer die Mitten und Höhen herausgehoben, das hat die Bläser und das Schlagzeug betont", sagt er. "Die Tiefen hat er bei 90 gedrosselt. Weil Blue Note-Käufer damals eher lausige Plattenspieler hatten." Klamme Hipster und Beatniks eben. "Bei zu viel Bass wäre die Nadel gesprungen. Jetzt nehmen wir an, dass Blue-Note-Käufer hervorragende Geräte haben und versuchen, den Klang zu rekreieren, den sie damals wirklich aufs Band brachten." Auf den Tone-Poet-Platten hört man das sofort.

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Ähnlich liebevoll geht Don Was mit den Covern um. Was sich lohnt, weil hier ein Kapitel Grafikgeschichte schlummert. Reid Miles wurde 1956 angeheuert, als Blue Note anfing Langspielplatten zu produzieren und sie jemanden für die neuen, großen Cover brauchten. Er war 29 Jahre alt und auf Arbeitssuche. Jazz mochte er nicht. Aber die Arbeit für Francis Wolff. Der zahlte ihm 50 Dollar pro Cover. Miles durfte Wolffs Fotos und zwei Farben verwenden und ansonsten einfach machen.

50 Dollar Lohn pro Cover, danach zahlte ihm Coca Cola eine Million im Jahr

Miles arbeitete gern mit den Fotos. Er engagierte auch hin und wieder einen jungen Werbezeichner namens Andy Warhol. Vor allem aber arbeitete er immer stärker mit Typografie. "Ende der Fünfziger hatte Typo sowieso eine Renaissance", schwärmte er später. "Vor allem auf Plattencovern, die nicht so restriktiv waren wie Werbung." Der Arbeitsablauf war dabei eher unkonventionell. Er ließ sich von Wolff die Session beschreiben und wie das ungefähr klingt. Dann ging er ran. Und hörte bei der Arbeit klassische Musik.

Für das Album "a.t.'s delight" des Schlagzeugers Art Taylor verwendete er zum Beispiel die Caslon 540-Schrift, die Version eines Schriftsatzes auf dem 18. Jahrhundert, die der Verbund amerikanischer Bleisatzschriftgießereien 1902 modernisiert hatte. Die passt auf Rot mit ihren Serifen und der Balance aus Tradition und Moderne gut zu Taylors Zusammenspiel mit dem Congaspieler Carlos "Patato" Valdez. Ähnlich wie die Schrift Clarendon über grünen Balken zum Album der Leipziger Pianistin Jutta Hipp mit dem kalifornischen Saxofonisten Zoot Sims. Die bauchige, serifenbetonte Antiqua aus dem London der 1840er-Jahre spiegelt sowohl Hipps schweren Blues-Stil als auch Sims' eleganten Cool Jazz. Und dann ist da die immer wiederkehrende Franklin Gothic Condensed Book, eine Groteskschrift, die lange vor der oft so bürokratischen Helvetica den Midcentury-Modern-Stil signalisierte, wie auf Kenny Dorhams "Una Mas" oder über der selbstgezeichneten Schriftdehnung von Lee Morgans "Rumproller".

1967 ging Reid Miles zu Coca Cola, wo man ihm eine Million Dollar im Jahr bezahlte. Er designte noch ein paar Cover für Bob Dylan und Chicago. In der Sammlung des Museum of Modern Art sind allerdings seine Blue-Note-Cover. Kulturgut, das Don Was nun einer neuen Generation nahebringt. Bis ins letzte Detail.

© SZ vom 18.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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