Plagiate in der Sozialwissenschaft:Allzu leichtfertig

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Bei den Kollegen bedient, ohne die Übernahmen kenntlich zu machen: Edgar Wolfrum. (Foto: Toni Heigl/DAH)

Erst Koppetsch, jetzt Wolfrum: Immer neue Plagiats-Affären erschüttern Sozialwissenschaften und Sachbuchverlage. Neue Kontrollinstanzen sind überfällig.

Von Miryam Schellbach

Wer abschreibt, der betrügt. Ein Satz wie eine einfache Wahrheit. Wer sich in der Schule dabei erwischen lässt, riskiert eine schlechte Note. An den Universitäten gehört die Warnung vor dem Plagiat zu jeder Einführungsveranstaltung. Politiker, die es zu einer gewissen Bekanntheit bringen, müssen davon ausgehen, dass ihre Doktorarbeiten, sollten sie einen akademischen Titel tragen, eher früher als später durch eine Datenbank an Vergleichstexten gejagt werden. Ergeben sich zu viele Treffer, droht die Aberkennung des Titels. Der ehemalige Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg hat auf diese Weise nicht nur den Doktor, sondern auch das Amt verloren. Ex-Bildungsministerin Annette Schavan ereilte das gleiche Schicksal genauso wie die Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, der ihr Doktortitel nach mehrfacher Prüfung schließlich auch entzogen wurde. Aber diese Reihe sollte nicht zu dem Trugschluss verleiten, dass Politiker häufiger betrügen. Der Zusammenhang ist banal: Wer berühmt ist, wird häufiger überprüft. Und wo intensiver gesucht, wird öfters etwas gefunden.

Immer wieder geraten auch Fälle von plagiierenden Professoren an die außeruniversitäre Öffentlichkeit. Oft handelt es sich dabei um Wissenschaftler mit einer Nebenkarriere als Sachbuchautor. Die Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch, 2019 Autorin einer viel beachteten Studie zum Rechtspopulismus unter dem Titel "Die Gesellschaft des Zorns" bediente sich allzu leichtfertig an den Erkenntnissen ihrer Kollegen. Ein von der Technischen Hochschule Darmstadt eingeleitetes Disziplinarverfahren bestätigte den Verdacht. Der Verlag transcript nahm das Buch vom Markt.

Die Glaubwürdigkeit leidet, wenn man sich erlaubt, was man anderen verbietet

Auch das 2020 veröffentlichte Buch "Der Aufsteiger. Eine Geschichte Deutschlands von 1990 bis heute" des Historikers Edgar Wolfrum ist seit kurzem nicht mehr über den Klett-Cotta Verlag beziehbar. Nach Recherchen der FAZ hat sich der Heidelberger Professor an Aufsätzen und Monografien verschiedener Kollegen bedient, ohne die Übernahme kenntlich zu machen. Zudem hat er ausführlich bei sich selbst abgeschrieben. Wie die FAZ berichtet, hat Wolfrum wohl schätzungsweise 20 Prozent des Textes aus einem früheren Buch in das neue kopiert. Dass die Wiederverwendung der eigenen wissenschaftlichen Erkenntnisse in die kritikwürdige Reihe der Plagiats-Untugenden fällt, mag erstaunen. Warum sollte es nicht möglich sein, den eigenen Gedankengang mehrfach darzulegen?

Die Uni Regensburg bemisst es in einem Leitfaden zur Plagiatsvermeidung so: Problematisch wird der Fall des Selbstplagiats vor allem "in kompetitiven Situationen der Verteilung knapper Ressourcen, insbesondere bei Zeitschriften mit Peer Review, Drittmittel-Anträgen und im Kontext von Prüfungen oder Bewerbungen." Wolfrums Selbstkopie ist dementsprechend juristisch kein Problem, schließlich hat er sich mit dem "Aufsteiger"-Buch nicht um eine bessere Stelle bewerben wollen. Wissenschaftsethisch aber schon. Die Glaubwürdigkeit eines Professors leidet darunter, wenn er sich etwas erlaubt, was er seinen Studierenden als strengstens verboten predigt. Tom Kraushaar, Verleger von Klett-Cotta und damit auch Edgar Wolfrums Verleger gibt sich zurückhaltend, die Vorwürfe werden, so sagt er auf Anfrage, derzeit sorgfältig überprüft.

Fälle wie die von Cornelia Koppetsch oder Edgar Wolfrum ziehen zu Recht eine gewisse Empörung nach sich. Kommissionen werden gebildet, Disziplinarverfahren eingeleitet, Rezensenten ergehen sich in Detailschilderungen, Wissenschaftsjournalisten werden zu schillernden Plagiatsjägern. An all dem ist nichts auszusetzen, denn, siehe oben, wer ohne Quellenangabe abschreibt, also betrügt, der bedroht damit die ohnehin ständig infrage stehende Seriosität der Geistes- und Sozialwissenschaften.

Warum hat der Lektor nicht gemerkt, dass sein Autor abgeschrieben hat?

In den Phasen der öffentlichen Erregung über die Ethik des Publizierens erlebt der Berufsstand des Lektors eine unrühmliche Wiedergeburt. Waren diese Erstleser einst die interessantesten, im nicht sichtbaren Bereich agierenden, eigentlichen Machthaber der Buchwelt, wird heute allenfalls gefragt: Warum hat der Lektor oder die Lektorin nicht gemerkt, dass der Autor abgeschrieben hat? Ja, warum hat er oder sie es nicht gemerkt?

Man sollte sich in diesem Zusammenhang keine Illusionen machen. Lektoren, besonders die in Verlagen mit einem großen Sachbuchprogramm, ächzen unter der immer größer werdenden Menge an Büchern, die sie verantworten. Das Lesen ist nur ein kleiner Prozentanteil ihres Jobs, sie schreiben Kalkulationen, Werbetexte und füllen unendlich lange Schlagworttabellen aus. Zeitgenössische Lektoren sind Projektmanager, Allround-Betreuer, Metadatenverwalter. Die durch die Digitalisierung drastisch vereinfachte Möglichkeit des wissenschaftlichen Collagierens sollte nicht auf ihre Schultern abgewälzt werden. Neue Kontrollinstanzen sind überfällig.

Jeder, der schon mal den Standardvertrag eines Verlags gesehen hat, weiß: Mit seiner oder ihrer Unterschrift garantiert der Autor, die Autorin die Originalität und also Exklusivität seines Manuskripts. Deshalb sind Verlage auch juristisch kaum zu belangen, sollten sie an einen Kopisten geraten sein. Ausruhen kann sich aber ein Verlag darauf nicht. Zumal der wohl häufigste Plagiatsfall versehentlich passiert.

Denn die Realität sieht so aus: Wissenschaftler zweitverwerten sich ständig. Wie könnte es auch anders sein in einer sich zunehmend unternehmerisch gestaltenden Hochschulwelt, in der Projektanträge zur Verlängerung der eigenen Stelle geschrieben werden müssen, aber auch unter Hochdruck Artikel und Vorträge produziert und Studierende unterrichtet werden. Notizen, Exzerpte, kursorisch formulierte Absätze fließen in Vorlesungen ein, wandern in Aufsätze, flechten sich dann ins Buch.

Doch, Betrug bleibt Betrug und die mangelnde Intention schützt nicht vor Spott. Daraus lernen sollten die Verlage, die sich bisher noch zögerlich geben, angesichts der längst verfügbaren, technisch einwandfreien Möglichkeiten, ein eingereichtes Manuskript zu überprüfen. Was sollte auch dagegen sprechen? Man wolle, so wird hinter vorgehaltener Hand gesagt, den eigenen Autoren das Grundvertrauen nicht entziehen. Von fünf spontan angefragten Verlagen gibt nur einer an, sporadisch eine Plagiatssoftware zu nutzen. Die anderen denken zumindest darüber nach. Aber diese Skepsis verkennt das Problem. Viele der Autoren wollen nicht plagiieren, es passiert ihnen. Würden Verlage ihre Bücher vor Drucklegung standardmäßig mit einer Software abgleichen, ließe sich das Kind retten, bevor es in den Brunnen fällt. Ein Gewissenskonflikt ist das nicht. Die standardisierte Überprüfung würde die Verlage schützen, aber eben auch die Autoren vor sich selbst.

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