Pilar Quintana: "Die Hündin":Gebrauchte Liebe

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Das Ersatzkind, das keines mehr sein will: Der subtile Debütroman "Die Hündin" von Pilar Quintana war in Kolumbien ein großer Erfolg.

Von Kathleen Hildebrand

Pilar Quintana: Hündin. Aus dem Spanischen von Mayela Gerhardt. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 151 Seiten, 18 Euro. (Foto: N/A)

Es ist wahr und unwahr zugleich und wahrscheinlich deshalb ein so beliebter Topos der Küchenpsychologie, dass ein Mensch, der sich einen Hund zulegt, damit das Fehlen eines Kindes kompensiert. Auf Damaris, die Protagonistin dieses schmalen, meisterhaften Romans, trifft es eindeutig zu. Sie ist 40 und tief enttäuscht über ihre Kinderlosigkeit, als sie einer Bekannten einen fast noch blinden Welpen abnimmt, ein Weibchen.

Küchenpsychologisch ist an dieser Geschichte und ihrem zunehmend düsteren Verlauf allerdings gar nichts. Die kolumbianische Autorin Pilar Quintana legt hinter dem Klischee tiefe menschliche Sehnsüchte und Abgründe frei. Damaris steckt den Welpen zwischen ihre warmen Brüste in den BH und füttert ihn mit Brotkrumen, die sie in Milch tunkt, weil er noch nicht fressen kann. Die Zärtlichkeit, mit der Damaris das Tier zu Kräften bringt, steht im schroffen Kontrast zur Feindlichkeit ihrer Umgebung. Den Mückenschwärmen und Ameisenarmeen, die ihre Hütte an der rauen Küste regelmäßig heimsuchen, scheint man sich nur ergeben zu können. Die Landschaft steht zwischen den Menschen - um ins Dorf zu kommen, muss Damaris auf Ebbe warten - genau wie die Armut, die zu Missgunst zwischen Weißen, Schwarzen und Indigenen führt. Damaris und ihren Mann Rogelio verband, immerhin, einmal Liebe. Er arbeitet tagelang auf großen Fischkuttern. Wenn er zu Hause ist, macht er sich über Damaris lustig. Seine drei Hunde, die das Haus bewachen, tritt Rogelio, er schlägt sie und manchmal, das glaubt Damaris, macht ihm das sogar Spaß. Kein Wunder, dass diese Frau ein bisschen Liebe braucht.

Die weiblichen Welpen will niemand haben, lieber wirft man sie ins Meer

Pilar Quintana hat selbst zehn Jahre an der Westküste Kolumbiens gelebt, in einer selbstgebauten Hütte in Juanchaco, das wie Damaris' Dorf in der Bucht der Hafenstadt Buenaventura liegt. Sie arbeitete als Werbetexterin und Drehbuchautorin in Bogotá, bis sie irgendwann alles verkaufte und auf Reisen ging. Heute lebt sie in Barcelona. "Hündin" ist ihr erster Roman, er war ein großer Erfolg in Kolumbien, die englische Übersetzung ist für den National Book Award nominiert. Mayela Gerhardt hat ihn gespenstisch unmerklich ins Deutsche übertragen.

Quintana beschreibt präzise und lakonisch, wie Damaris' innige Beziehung zu ihrer geliebten Hündin zerbricht. Das Tier läuft davon, verschwindet im Dschungel. Damaris ist verzweifelt. Ein paar Tage später ist die Hündin wieder da. Nun ist Schluss mit der bedingungslosen Liebe der Hundemutter. Damaris erträgt nicht, dass ihr Ersatzkind keines mehr ist, dass es sie nicht mehr braucht.

Als sie feststellt, dass die Hündin trächtig ist, wird ihre Enttäuschung zu Wut. Subtil lässt Pilar Quintana hier Misogynie mit enttäuschter Liebe verschwimmen: "Hündin" ist auch im Spanischen eine Beleidigung für Frauen, es bedeutet "Schlampe". Die Gebärfähigkeit, die Damaris sich für sich selbst gewünscht hat, wird für ihr Tier zum Fluch, wie es in ihrem Dorf üblich ist: Die weiblichen Welpen aus einem Wurf will niemand haben, weil sie läufig werden, dann trächtig. Lieber wirft man sie ins Meer. Am Ende dieser Liebesgeschichte zwischen Mensch und Kreatur steht eine Tat, die zeigt, dass auch die Liebe nicht losgelöst ist von der dunklen Seite des Menschseins.

© SZ vom 13.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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