"Parada" im Kino:Im wilden Homophobistan

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Wenn ein Gangster mit Handgranaten-Tattoo hinterm Ohr seinen Mops zum Arzt fährt, deutet sich an, dass im fraglichen Film nicht alles erwartungsgemäß laufen wird. Tatsächlich: Die serbische Schwulenkomödie "Parada" avancierte zum Überraschungshit - und erweicht auch die härtesten Herzen.

Anke Sterneborg

Der Mann ist wirklich zum Fürchten: Massiger Körper, breitbeiniger Gang, jede Menge Narben, das Tattoo einer Handgranate hinterm Ohr und um den Hals eine dicke goldene Karabinerkette. Das ist Limun aus Belgrad, Gangster, Nationalist und Veteran des Bosnienkriegs. Als dann allerdings sein Mops bei einem Drive-by-Shooting verletzt wird, verwandelt er sich in einen zartbesaiteten Jungen, noch im blutverschmierten Bademantel bringt er das Tier zum Arzt. Was nur das erste Zeichen ist, dass hier nicht alles erwartungsgemäß laufen wird, dass der Augenschein trügt.

Milos Samolov als Radmilo in "Parada" von Srdjan Dragojevic. (Foto: dapd)

Der serbische Regisseur Srdjan Dragojevic wirft seine Figuren als markige Klischees in die Geschichte, nur um ihre Fassade alsbald schleichend zu zersetzen. Der Gangsterhaudegen, der seinen brachliegenden Machismo in Kampfsportstudio und Security-Firma auslebt, ist längst nicht so hart, wie er sich gibt, seine kunstblonde, dralle Freundin längst nicht so vulgär, wie sie aussieht - und auch die Schwulen, die das Schnapsglas mit abgespreiztem kleinen Finger halten und im pinken Auto durch die Stadt zockeln, sind sehr viel kämpferischer, als man ihnen zutraut. Wenn es darum geht, im schamlos homophoben Belgrad eine Gay Pride Parade durchzusetzen, machen sie mit subversivem Witz wett, was ihnen an Muskeln fehlt: "Ihr seid wie die armen Bauern in 'Die Glorreichen Sieben'", sagt der Tierarzt zu seinem Freund Mirko: "Ihr bräuchtet Schutz." Und so zettelt Srdjan Dragojevic zwischen den zartbesaiteten Schwulen und dem rauen Kriegsveteranen eine himmlisch absurde Zweckallianz an, die einige Reibungsfunken schlägt, aber auch Schweiß und Blut fordert.

Deftiger Sinn für die Absurditäten des Lebens

Es ist nicht leicht, in Serbien einen Film zu drehen, der zur Toleranz gegenüber Schwulen aufruft. Dragojevic, ein heterosexueller Familienvater, hat diese Mühe aus Enttäuschung auf sich genommen, über den Stand der Dinge in Serbien nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil. Der erste zaghafte Versuch einer Gay Pride Parade endete dort 2001 in einer gewalttätigen Schlägerei, auf die Hilfe der Polizei konnten die Demonstranten dabei nicht hoffen, da die Homophobie wohl das einzige Thema ist, über das sich alle Bewohner der verfeindeten Balkanstaaten Serbien, Kroatien, Bosnien und Kosovo-Albanien verständigen können. So ist es schon ein kleines Wunder, dass fast jeder zwanzigste Serbe "Parada" im Kino gesehen hat, was wohl vor allem damit zu tun hat, dass der Film jenen besonderen Ton trifft, der auch die härtesten Herzen erweicht.

Seinen kämpferischen Geist federt der Film mit einem deftigen Sinn für die Absurditäten des Lebens ab. Vielleicht passt diese Satire, die zugleich ein berührendes Melodram ist, aber auch ganz einfach gut zu dem durchaus pragmatischen, sachten Stimmungswandel in der Region: Die ersehnte Aufnahme in die Europäische Union ist an die Wahrung der Rechte von Minderheiten gebunden, weshalb sich die Polizei neuerdings ein wenig entgegenkommender zeigt, wenn es um den Schutz von Schwulen geht.

Bei der Gay Pride Parade 2010 stellten sich immerhin 5600 Polizisten zwischen 1000 Demonstranten und 6000 Randalierer. Für den international gefragten serbischen Schauspieler Rade Serbedzija steht "Parada" ähnlich wie Angelina Jolies Bosnienkriegsdrama "Im Land von Blut und Honig" für die zarten Anfänge von Gerechtigkeit, Toleranz und Zivilcourage in seiner zerrissenen Heimat. Am Ende all der komischen und tragischen Verwicklungen stellen die zwangsverbündeten Parteien verwundert fest: "Ihr seid ja eigentlich ganz normal!" Letztlich kommt es hier nur darauf an, dass man bereit ist, für irgendjemanden oder irgendetwas in den Kampf zu ziehen.

Parada, Serbien, Slowenien, Kroatien, Montenegro, Mazedonien 2011 - Buch und Regie: Srdjan Dragojevic. Kamera: Dusan Joksimovic. Mit Nikola Kojo, Milos Samolov. Neue Visionen, 115 Minuten.

© SZ vom 14.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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