Palästinenser:Museum für zeitgenössischen Kampf

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In Ramallah bekommt Jassir Arafat in einem Neubau eine eigene Ausstellung.

Von Peter Münch

Der Raum ist verdunkelt, an den Außenwänden stapeln sich die Metallfässer. Bis oben hin sind sie mit Sand gefüllt, zum Schutz, wenn wieder mal geschossen wird. Achtlos hingeschleudert verteilen sich die klobigen Stiefel der Leibwächter über den Fußboden, auf den drei Stockbetten liegen Maschinenpistolen und Gasmasken. Zum Aufräumen hat hier wohl keiner Zeit gehabt, alle Zeichen stehen auf Alarm, und eine gewisse Ordnung herrscht allein in einer kleinen Kammer am Ende des Gangs: Hier bedeckt eine filzige Wolldecke das Bett, hier hängen die kakifarbenen Uniformjacken ordentlich aufgereiht im Schrank, und auf einem Brett darüber ist neben der Unterwäsche ein Stapel schwarz-weißer, gefalteter Tücher zu sehen.

Die Zeit ist stehen geblieben Ende 2004, als Jassir Arafat diesen Raum für immer verlassen hat. "Wir haben fast nichts verändert", sagt Mohammad Halayka. Denn diese Räume waren Arafats letztes Refugium in Ramallah. Drei Jahre hat der Palästinenserführer darin verbracht, belagert von der israelischen Armee, bevor er zum Sterben in ein Pariser Militärhospital ausgeflogen wurde. Nun werden diese Räume als Prunkstücke des "Jassir Arafat Museums" präsentiert. Am 9. November soll es unter Halaykas Leitung eröffnet werden. Die Feierlichkeiten mit Prominenz, darunter Präsident Mahmud Abbas, werden sich mindestens zwei Tage hinziehen, bis zum 11. November, dem Todestag des Patriarchen.

Jassir Arafat, den sie schon zu Lebzeiten "Mister Palestine" genannt haben, der eine Legende ist, ein Chamäleon und der Nationalheilige eines Volkes, das noch immer keinen Nationalstaat hat, wird also nun ein Museum bekommen, das mehr ist als eine staubanfällige Erinnerungsstätte für einen verblichenen Heroen. "Ein Museum für den zeitgenössischen palästinensischen Kampf", nennt es Nabil Kassis, der Vorsitzende des Museumskomitees. "Wir verfolgen die gesamte palästinensische Geschichte im letzten Jahrhundert", sagt Direktor Halayka. Aber weil dieses Jahrhundert aus Sicht der Palästinenser viel Schatten bot und nur eine alles überstrahlende Lichtgestalt, ist dieses Nationalmuseum dann doch vor allem ein Heldenverehrungsmuseum.

Jassir Arafat ist die Lichtgestalt der Palästinenser. Das Foto aus dem Jahr 2004 zeigt ihn in einem ungewohnt freidlichen Moment während der israelischen Belagerung in der "Mukataa". (Foto: AFP)

Die hier für Gesamtkosten von umgerechnet mehr als sechs Millionen Euro präsentierte palästinensische Geschichte beginnt zu jener Zeit, in der Jassir Arafat geboren wurde. Es gibt dazu mindestens drei verschiedene Daten aus dem Jahr 1929, obendrein ist umstritten, ob er, wie er selbst stets behauptete, in Jerusalem das Licht der Welt erblickte oder doch in Kairo. Das Museum aber wird das Haus seiner Kindertage in der Jerusalemer Altstadt zeigen - originalgetreu nachgebaut in einer Nische, die wie fast alles andere knapp vier Wochen vor der geplanten Eröffnung noch weitgehend leer ist.

"Das sind nur noch die letzten Handgriffe", beruhigt Halayka. Er gibt sich unbeeindruckt davon, dass auf den 2600 Quadratmetern Ausstellungsfläche, die sich in vier langen Schleifen einen dunklen Gang hochziehen, überall noch gebohrt und gehämmert wird. Links und rechts des Gangs öffnen sich schwarze Löcher, wo zur Eröffnung Bilder oder Bildschirme hängen sollen. Das Soundsystem, Halayka zufolge "das gleiche ist wie im Pariser Louvre", hält noch der israelische Zoll fest. "Keiner kann sagen, wie lange das dauert", räumt der Museumsdirektor ein. Doch Zweifel am Eröffnungstermin lässt er nicht aufkommen.

Wenn der dynamische Halayka im Laufschritt durch das leere Museum führt, dann füllt er die schwarzen Löcher mit lebendigen Schilderungen. "Hier sind wir 1948", sagt er dann zum Beispiel - es ist die Zeit der "Nakba", der großen Katastrophe, der Flucht und Vertreibung der Palästinenser während des israelischen Unabhängigkeitskriegs. "Wir stellen hier ein Original-Flüchtlingszelt von damals auf", erklärt er. "Es ist in schlechtem Zustand, aber wir werden es zeigen." Nicht allzu weit entfernt davon ist man schon im Jahr 1974, und hinter Glas steht ein Rednerpult. Arafat stand damals im November hinter einem solchen Pult bei den Vereinten Nationen in New York. Dieser erste Auftritt vor der Weltgemeinschaft war eine Sensation und ein diplomatischer Durchbruch für die Palästinenser. In Erinnerung geblieben ist er vor allem, weil Abu Ammar, wie sein Kampfname lautete, eine Pistole umgeschnallt hatte und in der Hand zum Zeichen des Friedenswillens einen Ölzweig schwenkte.

Ratlos, einsam und krank war er am Ende, ein Gescheiterter. Gezeigt aber wird ein Held

Diese private Pistole Arafats darf natürlich im Museum nicht fehlen. Auch seine Kefijeh, die als "Pali-Tuch" erst in die Welt der Revoluzzer, dann in die der Mode eingeführt wurde, erhält einen Ehrenplatz. Und gezeigt wird obendrein noch seine Brille. "Von überall her haben wir die Exponate gesammelt", erklärt der Komitee-Vorsitzende Kassis, schließlich sei auch Arafat weite Wege gegangen für die palästinensische Sache. In Amman hatte er einst sein Hauptquartier, später in Beirut, dann in Tunis, bevor er sich nach den Friedensverträgen von Oslo wieder im Gazastreifen auf palästinensischem Boden niederlassen durfte. Am Ende hat sogar die Hamas, die seit Jahren ihre Feindschaft zu der von Arafat gegründeten Fatah pflegt, mit den Museumsmachern kooperiert und die Friedensnobelpreis-Medaille von 1994 herausgerückt. Die Auszeichnung, die Arafat zusammen mit den Israelis Jitzchak Rabin und Schimon Peres erhielt, war beim Umzug nach Ramallah in Gaza liegen geblieben. "Die Rückgabe-Verhandlungen haben ziemlich lange gedauert", bekennt Direktor Halayka.

So wird in den Schleifen des Museums ein kurvenreiches Leben eingefangen, das vom bewaffneten Kampf zu Friedensverhandlungen führte und wieder zurück. "Es geht dabei nicht um Propaganda oder um Provokationen, auch nicht gegenüber Israel", versichert der Direktor. "Wir wollen die palästinensische Geschichte so zeigen, wie sie ist." Dunkle Seiten wie die zu Arafats Zeiten beklagte Korruption oder der ausufernde Nepotismus bleiben allerdings unerwähnt. Wenn schon die Gegenwart so trostlos und grau ist in den Palästinensergebieten, dann soll wohl wenigstens Arafats Stern zum Strahlen gebracht werden.

Dieser Stern leuchte allerdings auch schon zuvor so hell, dass für Arafats Nachfolger Mahmud Abbas immer nur ein Platz im Schatten geblieben war. Nun darf Abbas, der Bürokrat, von seinem Präsidentensitz aus auch noch direkt auf den wuchtigen Museumsbau blicken. Denn natürlich muss das "Jassir Arafat Museum" in Ramallah auf dem Gelände der Mukataa stehen, wo der legendäre "Rais" zu Lebzeiten regierte und nach seinem Tod eine marmorne Grabstätte errichtet worden war. Die Besucher werden künftig durch das Mausoleum zum Museum gelangen.

Hoffnung auf eine bessere Zukunft wird auf dieser Einbahnstraße zurück in die Vergangenheit wohl kaum erzeugt. Denn wer am Ende des Rundgangs in den alten Gemächern Arafats landet, der kommt bei aller Inszenierung kaum umhin, den Helden als Gescheiterten wahrzunehmen.

Als im Jahr 2000 die Zweite Intifada mit ihren Selbstmordanschlägen losbrach, war Arafat die Kontrolle über die Straße längst entglitten. Die israelische Armee setzte ihn schließlich in der von Panzern umzingelten Mukataa fest, die israelische Regierung drohte offen damit, ihn zu liquidieren. Sein letztes Arbeitszimmer ist ein heute noch muffig riechender Raum mit einem sperrmüllreifen Tisch, an dessen Kopfende Arafat meist bis tief in die Nacht bei Kerzenlicht vergebens grübelte. Ratlos, einsam und krank ist Arafat am Ende gewesen. Auf dem Weg vom Zimmer der Leibwache zu seiner kleinen Schlafkammer sind noch die Infusionseinrichtungen und das Sauerstoffgerät zu sehen. Das Museum, das zwölf Jahre nach seinem Tod eröffnet, wird einen Mythos am Leben halten.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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