Oper:Menetekel des Wahns

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Schnörkellos inszeniert: Verdis "Nabucco" am Theater Regensburg

Von Egbert Tholl, Regensburg

Lange vor Beginn der Vorstellung sind die Zuschauer schon da. Sie sitzen auf Bierbänken vor dem Theater am Bismarckplatz, blinzeln in die Abendsonne und haben sich Kopfhörer ausgeliehen. "Silent Opera" nennt sich das, man sieht auf großen Bildschirmen die Übertragung der Premiere von Verdis "Nabucco", trägt einen Kopfhörer, und der Gedanke, der im dritten Akt fliegen soll ("Va, pensiero"), steigt nicht in den Nachthimmel auf, sondern bleibt in den Köpfen der Zuschauer.

Drinnen ist der Chor ein Ereignis, nicht nur bei der oben erwähnten Nummer: gnadenlos präsent und sehr wach in der Gestaltung. Ebenso wie das Orchester unter Tom Woods, das die Musik des hier noch nicht vollends vom Genie gestreiften Verdi mit der nötigen Hemdsärmeligkeit darbietet. "Nabucco" ist ein Stück der schnörkellosen Dramaturgie, und so ist auch der ganze Abend. Der aus Rumänien stammende Regisseur Rareş Zaharia packt die Babylonier, die Jerusalem erobern, in faschistische Uniformen, Nabucco, der König, erinnert stark an Mussolini, das jüdische Volk trägt die religiösen Insignien seiner in Deutschland fast vollständig vernichteten Kultur oder recht schicke Sachen aus den Dreißigerjahren (Kostüme: Katharina Heistinger). Der Hohepriester des Baal führt als katholischer Bischof eine Prozession an, seine Priester schauen aus wie Ku-Klux-Klan in Orange. Die Bühne von Helmut Stürmer dreht sich unermüdlich und zeigt so verschiedene Ansichten düsterer Macht, durch die ein stummer Schauspieler als Menetekel des Wahns geistert.

So weit ist schnell alles klar; Zaharia ist hierin vielleicht ein bisschen plump, aber es geht alles auf. Und schließlich ist "Nabucco" ja auch ein plumpes Stück: Der König wird irr, Abigaille reißt die Macht an sich, der König wird wieder klar im Kopf und schafft Frieden. Adam Krużel ist ein Nabucco mit anrührend menschlicher Ausstrahlung, Abigaille, seine Bastard-Tochter, bis auf einen Moment das genaue Gegenteil von ihm. Der Moment ist jener, wenn Abigaille einen Anflug von Liebe zu Ismaele, zum braven Yinjia Gong, sich eingesteht. Ansonsten ist Aile Asszonyi ein Monument dramatischer Sopranwucht, extrem souverän und so kalt, dass ihr die stilisierte SS-Kluft gut steht. Neben ihr prunkt Vera Egorova-Schönhöfer als Fenena, Ismaeles wahre Liebe, mit Klangschönheit. Und - das Regensburger Theater hat zwei echte Schätze im Ensemble: Selcuk Hakan Tiraşoğlu, der hier den Zaccaria, den Hohepriester der Hebräer, mit wahrlich biblischer Stimmgröße verkörpert, und Anna Pisareva, die selbst in der kleinen Partie von Anna, Zaccarias Schwester, mit toller Stimme und darstellerischer Intelligenz jeden Fokus auf sich zieht.

© SZ vom 18.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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