Oper:Brennende Nervenenden

Lesezeit: 2 min

Eine Frau, die um die Freiheit ihrer Gefühle ringt, wenn nötig bis zum Tod: Marisol Montalvo als Thérèse. (Foto: OFS/Matthias Creutziger)

Philipp Maintz' "Thérèse" bei den Osterfestspielen

Von Egbert Tholl, Salzburg

Mit "Thérèse Raquin", erschienen 1867, wurde Émile Zola schlagartig bekannt. Der Roman passte gut in die Zeit, zehn Jahre zuvor war Flauberts "Madame Bovary" erschienen, eine Frau, die mit selbstzerstörerischer Macht zu ihren Gefühlen steht, also in der französischen Literatur eingeführt. Dazu kommt die Schilderung des Lebens selbst. Der erste Aspekt prädestiniert Thérèse zur Opernfigur, der zweite eher nicht. Nun ist sie eine geworden. Philipp Maintz verlegt den Realismus der Vorlage ins Psychologische.

Thérèse verlor beide Eltern, ihre Mutter war Algerierin, sie heiratete ihren Cousin Camille, wohnt mit ihm bei dessen Mutter über dem kleinen Stoffgeschäft. Die Ehe, gehütet von Madame Raquin, ist nicht mehr als ein Arrangement, Thérèse langweilt sich, lernt Laurent, einen Freund Camilles kennen, beide werfen sich haltlos in eine brennende Affäre, töten Camille, indem sie ihn, der nicht schwimmen kann, auf der Seine von einem Boot schmeißen. Ein Jahr später drängt Madame sie zur Heirat, sie erfährt die Wahrheit, erleidet einen Schlaganfall, das Liebespaar zerbricht in Schuldzuweisungen, aus Begierde wird Hass - und gemeinsam bringen sich Thérèse und Laurent um.

Peter Ruzicka, der Intendant der Salzburger Osterfestspiele, hat sich von Philipp Maintz die Kammeroper "Thérèse" gewünscht, sie mit der Hamburger Staatsoper koproduziert und von deren Intendanten Georges Delnon inszenieren lassen. Mit der Uraufführung werden die Osterfestspiele doch noch zu einem Festival - im kommenden Jahr wird der Notwendigkeit des Neuen noch stärker Rechnung getragen, für Verdis "Don Carlo" komponiert Manfred Trojahn ein neues Vorspiel, es gibt Einiges von Hans Werner Henze, unter anderem die posthume Uraufführung seines Vaudevilles "La Piccola Cubana".

"Thérèse" ist eine Bohrung in psychotischen Tiefen, eine vertikale Bewegung. Delnon braucht deshalb nicht viel mehr, als ein statuarisches Tableau in einem Kontor des 19. Jahrhunderts zu schaffen. In die Abgründe bewegen sich die Figuren von allein, also Otto Katzameier, der auch das Libretto schrieb, und die umwerfende Marisol Montalvo als Thérèse. Camille (Tim Severloh) ist ein bald nur noch ein als Alb herumgeisternder Stichwortgeber, während Laurent und Thérèse sich erst lieben und dann brutal zerfleischen. Sie gurren, deklamieren, bewegen sich in ariosen Gefilden, stets expressiv, wild. Im Zentrum, bald stumm, aber grandios: die Madame der großen Renate Behle, ein Monument von skulpturaler Ereignishaftigkeit.

Die Musik gleißt und flirrt, Silke Lange bringt am Akkordeon Seele und auch Bach als falschen Trost hinzu, Nicolas André fügt mit den Musikern der Hamburger Staatsoper die tönenden Nervenenden zusammen. Vielleicht vertrüge dieser dunkle Traum durchaus mehr Narration, aber als Innenschau einer ausweglosen Verkettung ist "Thérèse" imposant.

© SZ vom 16.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: