Österreich:Falco - absolutes Gehör, absoluter Kontrollverlust

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"No a Interview und I flipp aus, Burschen", steht in Falcos Tagebuch. (Foto: dpa)

Einer wie er kam nie wieder: Am Sonntag wäre Falco 60 Jahre alt geworden. In Wien will man den Pop-Poeten aber partout nicht ruhen lassen.

Von Cathrin Kahlweit

Rudi Dolezal hat Tagebuch-Auszüge dabei, unveröffentlichte, versteht sich. Nicht seine, auch das versteht sich, sondern die von Hans Hölzel, Künstlername Falco; es sind Blitzlichter aus dem Leben eines anderen, das vermarktet wird, als wäre es das eigene.

Sein letzter Wille sei "Idylle", steht da in Falcos Tagebuch-Exzerpt, er wolle "in Rua gelassen werden". Da sei ein Vakuum, "fehlender Antrieb" in ihm. Ein Erschöpfter auf der Suche nach innerem Frieden: "No a Interview und I flipp aus, Burschen."

Dolezal sitzt, ganz in Schwarz mit orangenem Schal und orangenen Turnschuhen, in einer Hotelsuite, scheucht seine Assistentin, kippt Rotwein im Dreivierteltakt und verbreitet die Falco-Zitate praktischerweise mitsamt einem persönlichen Statement, in dem er sein neues Werk als "außergewöhnlich" bezeichnet.

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Falcos Erfolg, Falcos Tod, Falcos Leben, Falcos Vermächtnis - eine neverending story.

Mit diesem Anspruch ist er nicht allein. Dolezal hat - auch - einen Film über Falco gemacht: zum 60. Geburtstag, einem fiktiven Termin, denn Falco ist seit 19 Jahren tot. Jedes Jahr, seit der Sänger 1998 in der Dominikanischen Republik nach einer durchzechten Nacht in seinem Wagen mit einem Bus kollidierte, bricht im Februar dieser Wirbel aus. In diesem Jahr ist der Wirbel besonders, nun ja, wirbelig.

Duett mit Madonna, Haus in L. A.? Alles zu viel. Am liebsten saß Falco im "Alten Fassl"

Für Dolezal, mit seiner DoRo Produktion lange einer der Großen in der Branche und als Musikvideoproduzent kongenialer Bildgeber von Falco-Videos wie dem Rock-Me-Amadeus-Kult, ist es nicht der erste Erklärungsversuch. Seine Dokumentation von 2010 war auch schon gut. Aber weil die Welt offenbar gar nicht genug bekommt von dem smarten Österreicher mit dem schönen Gesicht und dem ganz großen Gespür für das, was morgen gefragt war, und weil der Produzent praktischerweise einen Großteil der Rechte am Bildmaterial hält, hat er nun einen neuen Film gemacht, der am Sonntag auf Kabel eins ausgestrahlt wird. Mit "neuen Details über Falcos Tod", mit "einem Lookalike, der an den Originalschauplätzen eingesetzt" wird. Weil er, sagt Dolezal, seinem Freund Falco dieses Mal hundert Prozent gerecht werden wollte. Wie geht das?

Viele sind Falco-Experten. Zum 19. Todestag und zum 60. Geburtstag, die beide auf den Februar fallen, veranstalten sie Festspiele. TV-Dokus, Artikel in allen österreichischen Zeitungen. Tests: Wie textsicher sind Sie bei Falcos Hits? Vox kommt am Samstag mit einer vierstündigen Sendung. Vier Stunden! Auszug aus dem Pressetext: "Seltene Archivinterviews, einzigartige Live-Auftritte und weitere Zeitzeugen lassen Falco und seinen unvergleichlichen Charme wieder auferstehen. Hans Hölzel spricht so offen und frei wie in keinem anderen Interview."

Falco spricht? Er liegt unter einem schrecklich hässlichen Plexiglas-Monument auf dem Wiener Zentralfriedhof.

Außerdem ist ein Falco-Musical auf Tour, und der Amalthea-Verlag hat eine Graphic Novel veröffentlicht: "Die Legende lebt." "Muss ich denn sterben, um zu leben?", lautet eine von Falcos bekanntesten Textzeilen. Muss er ewig weiterleben, weil er nicht sterben darf?

Sein Freund und Bandleader Thomas Rabitsch ist auch etwas erschöpft vom Interview-Marathon, aber er hat eine Erklärung für diese neue deutsche Welle: Die nächste Generation sei neugierig geworden, die nicht mit Falco aufwuchs und nun den Deutsch-Rapper im blau-weißen Satin-Anzug neu für sich entdecke.

Dolezal hält sich für einen Kenner der ganzen Geschichte. Vielleicht ist er das. Für ihn soll es der letzte Falco-Film gewesen sein, weshalb die Dokumentation "Falco, die ultimative Doku" heißt. Dann sei aber "finito". Man glaubt es kaum.

Es ist ein guter Film, schnell geschnitten, sehr suggestiv, im Grunde ein langes Musikvideo über einen Mann, der als einer der ersten weißen Rapper gilt. Er war der bisher einzige Star mit einem deutschsprachigen Song, der es auf die Nummer eins der amerikanischen Charts schaffte. 1986 war das.

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Was für eine Vita des Siegens und Versagens: Richard Branson von Virgin Records soll ihm einen 40-Millionen-Dollar-Vertrag angeboten haben, er zuckte zurück. Er lehnte, so Rabitsch, ein Duett mit Madonna ab und ein schlüsselfertiges Haus in Los Angeles auch. Der Wahnsinn für einen Burschen, der in einer Garçonnière in der Ziegelofengasse wohnte und am liebsten in seiner Stammkneipe "Zum alten Fassl" neben der Eingangstür Hof hielt.

Es ist das Wesen des Hypes, dass er wenig Raum bietet für Zwischentöne

Falco war in den Achtzigern und Neunzigern mit dem "Kommissar", mit "Vienna Calling", mit "Rock Me Amadeus", mit "Jeanny" ein Bad Boy und ein Superstar. Zu erfolgreich für seinen Kopf, seine Seele, seinen Körper: ein Säufer, ein Selbstzerstörer, ein "Arschloch" (O-Ton Falco). Und an vielen Tagen gerade klein genug für Österreich, für seine Mama, die er beschenkte, als sei jeden Tag Muttertag. Und über die er in den von Dolezal ausgeteilten Tagebuchauszügen schrieb, sie sei eine "böse Frau". Hans Hölzel war einer, der viel Angst hatte und damit nie umzugehen lernte. Falco sang darüber hinweg.

Dolezal hat viele Termine, auch mit der Bild, die danach die These rausbläst, eine unglückliche Liebe könne Falco in der Dominikanischen Republik in den Tod getrieben haben. Er sei verliebt gewesen, aber der Vater der Dame habe die Affäre mit dem seltsamen Europäer unterbunden. Was Falco, der clean gewesen war, wieder in den Drogenrausch getrieben habe. Selbstmord aus Liebeskummer? Österreichs Boulevard ist begeistert, aber auch konfus. Die Krone attestiert "neue Rätsel um Falcos Tod", Österreich konstatiert: "Falco: Rätsel um Tod gelöst."

Und nun?

Geht es weiter rund. Weil Falco ja auch wirklich eine tolle Geschichte hergibt: ein bisschen Held und ein bisschen Freak, Muttersohn und Puffgänger, absolutes Gehör und absoluter Kontrollverlust. An manchen Tagen so viel Whiskey, dass er nur noch kriechen konnte. Vor manchen Konzerten so zugedröhnt, dass er mit Eigenblutspritzen gedopt werden musste. An anderen Tagen so genial, dass er erfolgreichen Komponisten, Produzenten und Kritikern zeigte, was sie gar nicht wussten: dass die Welt mehr als bereit ist für Wiener Schmäh zum Bass zum Stakkato zum Cool. Manche halten ihn bis heute für einen musikalischen Revolutionär.

Der kluge Menschenversteher André Heller, der selbst einst mit deutschsprachigen Liedern international Karriere machte, spricht fast liebevoll über den "selbstironischen Dandy", der für seine "monströse Begabung nie die richtige seelische Statik hatte". Für eine Karriere wie die von Falco "da brauchst du ein verlässliches Selbst. Aber wenn einem der Vater sagt, mit dieser Drecks-Musik wolle er nicht in Berührung kommen, wenn man immer entwertet wird daheim, dann stellt sich beim Höhenflug schnell Flugangst ein."

Wenn man nicht mit Selbstachtung und Würde leben dürfe, dann müsse man früh sterben, sagt Heller, und stellt Falco, den Scheuen, den Überforderten, damit in eine Reihe mit Jim Morrison und Jimi Hendrix: als einen, der "seine Kraft, seine Kunstfigur, sein Wahnsinnstalent ertragen musste, bis sie ihn zerstörten".

Es ist das Wesen des Hypes, dass er wenig Raum bietet für Zwischentöne. Rabitsch, der mit Falco groß wurde, der mit ihm in der Band Hallucination Company anfing, bittet um Mäßigung in der voyeuristisch geprägten Begeisterung. Ihm klingt alles zu sehr "nach Katastrophenfilm. Aber die Leute wollen das hören und sehen, das Große, das Schreckliche". Dabei sei die junge Truppe damals, in ihrer Anfangszeit, wahrscheinlich das einzige Musiktheater-Underground-Projekt in Wien gewesen, das Theaterworkshops und Körperarbeit gemacht habe. Falco, der ewig Betrunkene zwischen Depression und Wahn? "Da gab es auch einen ganz anderen Mann." Einen, der nichts dem Zufall überlassen habe, einen besessenen Arbeiter, dessen Texte nie fertig wurden, der jeden Groove am Bass stundenlang probte.

Viele Produzenten hätten ewig auf eine Aufnahme warten müssen. Nicht, weil er lallend am Boden lag, sondern weil er immer noch an den Worten feilte. Falco sei ein Quartalstrinker gewesen, der in Wirklichkeit nichts vertragen habe. "Der war Monate trocken, dann hat er einen Tropfen Alkohol inhaliert und war für zwei Wochen komplett kaputt."

Geblieben sind ein Dutzend Studioalben und der Ruhm, der immer im Februar einen Höhepunkt erreicht. Und dann ist da das Erbe, das ein weiterer Falco-Freund verwaltet: der in Wien einschlägig bekannte Unternehmer Ronnie Seunig, der sich "eine der schillerndsten Persönlichkeiten Österreichs" nennt. Er ist Universalerbe und brachte das Geld in eine Stiftung ein, die sich erst um die kranke Mama Hölzel und seit deren Tod um die Förderung österreichischer Nachwuchskünstler kümmert. Im Kurier wird Seunig so zitiert: "Es handelt sich um etwa drei Millionen, die in die Stiftung einfließen. Pro Jahr kommen an Tantiemen rund 300 000 dazu."

Viele Falco-Kenner und Falco-Wegbegleiter fragen halblaut, was damit konkret geschieht. Ein von Berufs wegen nicht sehr auskunftsfreudiger Anwalt der Kanzlei CMS, die die Falco-Privatstiftung vertritt, betont, man habe unter anderem das Projekt "Falco goes school" gestartet. Beim Zusammenrechnen der Ausgaben kommen Beobachter zwar nicht auf viel mehr als eine fünfstellige Summe pro anno, aber was weiß man schon? Der Anwalt betont, selbstredend werde die Stiftung alljährlich von Wirtschaftsprüfern geprüft. Falcos Tod, Falcos Leben, Falcos Vermächtnis, Falcos Erbe - eine neverending story.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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