Norwegen:Eine neue Grammatik

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Kleiner, gründlicher, nachhaltiger: Die Biennalen in Trondheim und Oslo denken ein inflationär gewordenes Format neu.

Von Ingo Arend

Ein Sturzbach in rot. Der prachtvolle Perserteppich, der im Halbdunkel von der Wand herabhängt, scheint aufzuplatzen wie eine frische Wunde. "Gobustan" hat Faig Ahmed seine Arbeit in Trondheims Kunstgewerbemuseum genannt. Unverkennbar ein Tribut des aserbaidschanischen Künstlers an seine Heimat in Zentralasien.

"New Land" ist der Titel der klitzekleinen Triennale, auf der die Arbeit zu sehen ist. Mit ihr erinnert das beschauliche Museum in einem Klinkerbau in der nordnorwegischen Arbeiterstadt Trondheim an die berühmteste Künstlerin des Ortes: Hannah Ryggen. Ihre politischen Webteppiche machten die Teppiche der 1894 geborenen Kommunistin und Feministin zu Inkunabeln des 20. Jahrhunderts.

Von 1942 bis zu ihrem Tod 1970 lebte sie mit ihrem Mann auf einem kleinen Bauernhof bei Trondheim. Als die Nazis das Land besetzten, hängte sie ihre Arbeiten gut sichtbar an eine Wäscheleine vor ihr Haus. Die Kunstwelt war begeistert, als Carolyn Christov-Bakargiev sie nach Jahren der Vergessenheit 2012 auf der Documenta 13 "wiederentdeckte".

Aber musste das kleine Museum Ryggen unbedingt mit einer Triennale ehren? Die gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Ja, musste sie: Die Trondheimer Ausgabe zeigt, wie sich politische Ästhetik intelligenter promoten lässt als mit aufgepumpten Widerstandsbiennalen. Im Geiste der in Schweden geborenen Ryggen, die ihrem Mann ins "Neuland" Norwegen folgte, will die junge Kuratorin Solveig Lønmo "die Machtstrukturen und anhaltende Formen der Unterdrückung" beleuchten.

Das gelingt ihr mit einer Art minimalistischem Kammerspiel von erlesener Güte: Werke von neun zeitgenössischen Künstlerinnen stellt sie zehn Ryggen-Werken gegenüber. Die Arbeit von Faig Ahmed, Jahrgang 1982, ruft den Übergang von Ordnung zu Chaos abstrakt auf. Ryggen arbeitete mit leicht identifizierbaren Motiven: Der giftgrüne Teppich "Blood in the Grass" gegen den Vietnam-Krieg von 1966 etwa zeigt US-Präsident Johnson.

Oder sie setzt auf dem Teppich "Ethiopia" von 1935, mit dem sie gegen die Okkupation des Landes durch Italien protestierte, Diktator Mussolini eine Pistole an die Schläfe. Und auch Ahmed kreiert eine politische Metapher mit der uralten Handwerkstechnik seiner Heimat und entpuppt sich so als Wiedergänger Ryggens. Ähnlich wie Alexandra Kehayoglou: Mit ihren graugrünen Teppichen aus Wollbüscheln prangert die argentinische Textilkünstlerin, Jahrgang 1981, die Umweltzerstörung in ihrer Heimat an.

"Das ist jetzt ein besonderer Moment", sagt der Museumsdirektor Johan Börjesson, als er im Dämmerlicht eines Depotkellers das Seidenpapier um ein Werk auf dem Boden zurückschlägt. Stolz präsentiert er seinem Besucher ein quadratisches Webstück in leuchtenden Gelb- und Rottönen. In dessen Mitte ist ein Mann in braunen Häftlingskleidern zu sehen, der mit seinem Pinsel einen Totenkopf malt.

Ryggen schuf die Arbeit "Grini" 1945, ein Jahr, nachdem ihr Mann Hans aus dem gleichnamigen Konzentrationslager entlassen wurde. In dem Camp hatten die Nazis ab 1941 die norwegische Polit- und Kulturintelligenz interniert. Die monatelang restaurierte, hoch lichtempfindliche Arbeit wird im Oktober in der Hannah-Ryggen-Retrospektive in der Frankfurter Schirn zu sehen sein - wahrscheinlich zum letzten Mal im Ausland.

Wie stark die Okkupation der Nazis noch immer das kollektive Imaginäre des Landes bewegt, demonstrierte auch die erste Oslo-Biennale, die Ende Mai eröffnete. Auch dort ging es um "Grini", zur Eröffnung wurde ein Drama aufgeführt, das den Namen im Titel trug. Geschrieben wurde das umjubelte Stück, eine Mischung aus Agitprop und Brecht'schem Lehrstück, von einem Kollektiv namens "Rose Hammer", das die spanische Videokünstlerin Dora Garcia initiiert hatte. Der Name lässt offen, auf welchen Hammer er sich bezieht - das Symbol der norwegischen Arbeiterpartei oder den Hammer auf Henrik Ibsens Grab in Oslo.

Eigentlich hätte man erwartet, dass so ein Event wie diese Biennale von einer Bewegung wie der "Unge Kunstneres Samfund" veranstaltet wird. Die 1921 gegründete Gesellschaft für junge Kunst ist immer noch die wichtigste Triebkraft der Moderne in der Stadt. Die erste Oslo-Biennale aber gehört mit Haut und Haaren der Stadt. Direktor Ole Slyngstadli und die beiden Kuratoren Eva González-Sancho Bodero und Per Gunnar Eeg-Tverbaak sind Angestellte von Oslos Kulturamt, wenn auch mit künstlerischer Autonomie. Rund 2,5 Millionen lässt sich die Stadtverwaltung, die ohnehin eine gewisse Obsession für "Kunst im öffentlichen Raum" pflegt, ihr jüngstes Baby kosten. Trotzdem handelt es sich nicht um verbrämtes Stadtmarketing, auch wenn der Verdacht nahelag beim Blick auf Carole Douillards Performance "The Viewers" auf der Osloer Oper.

Schweigend fixieren dort zwanzig Protagonisten zwei Stunden lang die Besucher, die dem ultramodernen Kulturtempel aufs Dach steigen können. Der Kulturschwerpunkt der Osloer Stadtpolitik rührt schon von den Zeiten Gustav Vigelands her. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts überließ Norwegens bedeutendster Bildhauer, der Schöpfer der Friedensnobelpreis-Medaille, der Stadt sein Lebenswerk für einen heute noch viel frequentierten Skulpturengarten. Biennalen sind freilich kein eingetragenes Warenzeichen der Zivilgesellschaft. Wie bei Beton kommt es drauf an, wer was draus macht. Direkt hinter der Pyramide wächst Oslos hypermodernes Stadtviertel Opera-Kvartet in den Himmel, eine steriles Raster silbern schimmernder Avantgardehäuser. Seit Monaten sind alle großen Kulturinstitutionen Oslos geschlossen, die Museen ziehen in Neubauten. Norwegens Hauptstadt bringt seine Kultur mit Macht neu in Stellung.

Douillard geht es bei "The Viewers" jedoch um etwas anderes. "Ich finde es politisch, nicht mehr länger Objekte für reiche Käufer zu produzieren" erklärt die französische Künstlerin ihr Interesse an immateriellen Werken. An elf Orten in der Stadt wird sie das temporäre Alltagsmonument, ein magnetisch anziehender Moment der Stille und Solidarität, in den nächsten Monaten inszenieren. Auch sonst bricht die Biennale mit der formierten Wahrnehmung. Die Besucher sollten zur Eröffnung keinen vollgestopften Kunst-Parcours in zahllosen coolen Locations ablaufen. Ganze 16 Künstler und Künstlerinnen stehen auf der Liste der Oslo-Biennale. Eine der wenigen klassischen Biennale-Arbeiten war Gaylen Gerbers "Support". Mit dem christoverdächtigen Kniff, die unscheinbare Baracke im Hof des Biennale-Geländes grau zu streichen, machte der amerikanische Maler das Verdrängte sichtbar. Während der deutschen Okkupation trieb in dem Verschlag die Nazidiktatur ihr Unwesen. Nach dem Krieg zog der norwegische Geheimdienst ein. Und den rätselhaft gebogenen Silberlöffel, den sein Landsmann Michael Ross in einem der letzten Buchantiquariate versteckt hatte, mussten die Kunstfreunde lange suchen.

Der Bruch mit dem Ex-und-Hopp-Prinzip von Biennalen steckt auch hinter der sagenhaft langen Laufzeit von fünf Jahren. In einem alten Gemäuer auf dem Biennalen-Gelände richteten die Macher Künstlerateliers ein. Ihre Gäste sollen in den nächsten Jahren ohne Zeitdruck arbeiten. Weniger, aber gründlicher ist die Devise: Die Biennale als Katalysator nachhaltiger Kunstproduktion. Im Oktober, dem nächsten Biennale-Intervall, kann man erste Ergebnisse sehen.

Auch Ed D'Souzas Arbeit beginnt erst nach der Eröffnung. Nach der Parade mit Feuerschluckern zieht der britische Designer mit seinem hölzernen "Migrant Car", das er in Oslos Kreuzberg Grünerløkka mit den Nachbarn von Möbelpolsterer Eddie King gebaut hat, zu unzähligen Stadtteilinitiativen. Die Oslo-Biennale sieht ihre Adressaten in der Stadt, nicht in New York oder Venedig.

"What does it mean to launch a Biennial that breaks with the usual ways of addressing space, time and theme?" Nur ein institutionskritisches Glasperlenspiel signalisiert das umständliche Motto der Oslo-Biennale nicht. Die "Neue Grammatik für Oslo", die sie entwerfen soll, lässt sich auch als neue Grammatik für ein Format verstehen, das zwischen überladenem Ritual und politischer Überdehnung zu implodieren droht. Klein, aber fokussiert die eine, unspektakulär und nachhaltig die andere - die zwei nordischen Modellversuche liefern die Blaupausen dafür.

Hannah Ryggen Triennale . Nytt Land / New Land. Nordenfjeldske Kunstindustri museum, Trondheim. Noch bis zum 25.08. Oslo Biennale . First Edition. Oslo, 2019 - 2024. Nächster Schwerpunkt im Oktober.

© SZ vom 08.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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