Nordirland:Keltischer Korridor

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Grenze: Damit assoziiert man Wachtürme und Kontrollen. Der Unterschied zwischen Nordirland und Irland macht sich aber eher durch die Straßenschilder bemerkbar. Doch nun könnten die Checkpoints zurückkehren.

Von Deirdre Madden

Ich wurde in Nordirland geboren und bin während des Nordirlandkonflikts in Antrim, an den Ufern des Lough Neagh aufgewachsen. Obwohl ich heute in Dublin lebe, bleibt dieser Ort meine seelische Heimat.

In den Achtzigerjahren habe ich in Dublin studiert und pendelte deshalb zwischen meiner Universitätsheimat in der Republik Irland und meiner Familie in Nordirland hin und her. An der Grenze waren immer lange Staus, weil die britische Armee jedes Auto kontrollierte. Ich erinnere mich an die Angst vor Anschlägen auf einen der Checkpoints, während man dort stand, genauso wie an das zähe Warten selber.

Eine Allianz aus Nordiren, Iren und Schotten? Viele Nordiren werden sich da unwohl fühlen

Grenze. Mit dem Wort assoziiert man Trennung und Teilung. Es evoziert Bilder von Wachtürmen und Militär. Wenn man heute von Nordirland nach Irland fährt, nimmt man das nur deshalb wahr, weil sich die Verkehrsschilder ändern - und weil in der Republik Irland die Ortsnamen auch gälisch geschrieben sind. Diese Freiheit des Reisens und vieles mehr - oh, so viel mehr - wurde aufs Spiel gesetzt durch die Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen. Die nordirische Situation ist in diesem neuen Kontext besonders kompliziert. Staus werden unser geringstes Problem sein, wenn eine der Folgen des Brexit tatsächlich eine harte Grenze sein wird.

Ich bin sehr wütend darüber, dass das Referendum überhaupt stattgefunden hat. Schon wenn man sich anschaut, wie fragil unser Friedensprozess war und ist, hätte man dieses Risiko nie eingehen dürfen. Es stand für Nordirland einfach zu viel auf dem Spiel. Weitere Isolierung ist das Letzte, was wir brauchen.

Die Nordiren und Schotten haben für den Verbleib in der EU gestimmt. Aber wenn wir über den Brexit reden, müssen wir auch über die Republik Irland reden. Ich habe den Eindruck, dass man in Dublin größere Sorge hat, was der Brexit bedeutet - als in Belfast. Die Republik erholt sich immer noch vom Crash nach den Boomjahren, da wirkt die Angst, was der Brexit wohl für das Land bedeuten könnte, destabilisierend. Da die Schwächung des Pfunds direkte Auswirkungen auf die Exporte auf die britische Insel hat, sind schon erste Jobs verloren gegangen.

Als die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon kürzlich Dublin besuchte, wurde sie sehr herzlich empfangen. Sollte Schottland eines Tages für die Unabhängigkeit stimmen und damit in der EU bleiben, würde diese politische Verbindung sicher noch gestärkt werden. Sturgeon sprach schon von einem "keltischen Korridor", womit sie Schottland, Nordirland und die Republik Irland meinte, aber ich bin mir nicht sicher, wie wohl sich viele Nordiren in dieser Gesellschaft fühlen würden.

Für den nordirischen Friedensprozess war die Tatsache, dass die Kämpfer auf beiden Seiten älter wurden, ganz zentral. Sie wollten nicht, dass ihre Nachkommen so leben müssen wie sie selbst. Dieser Wunsch nach einer besseren Zukunft und einer friedlicheren Gesellschaft war eine treibende Kraft für den Wandel. Aus ganz ähnlichen Gründen wurde die EWG, Vorläuferorganisation der EU, nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet - ehemalige Erzfeinde einte derselbe Wunsch: ihre Volkswirtschaften wieder aufzubauen und zu stärken.

Wir haben mit den Jahren die Existenz der EU als etwas Selbstverständliches, Immerwährendes gesehen. Aber wer hätte je gedacht, dass sich der vermeintlich so monolithische Block der kommunistischen Staaten in so atemberaubender Geschwindigkeit auflösen würde?

Deirdre Madden, geboren 1960 im County Antrim, lebt heute in Dublin. Zuletzt erschien von ihr auf Deutsch "Eine Liebe in Dublin" (Klett-Cotta). Deutsch von Alex Rühle.

© SZ vom 23.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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