Neunundzwanzig Jahre ist es her, dass Rainald Goetz in seinem Roman "Irre" ein Münchener Konzert von Freiwillige Selbstkontrolle begeistert (und bis oben hin voll mit Haschischtee) als "Aaaffensound" beschrieb. Zwei Jahre später, 1985, lud der wohl einflussreichste Radio-DJ aller Zeiten, John Peel, die Band zu ihrer ersten BBC-Session nach England ein. Und nun haben F.S.K. ihr neues Album "Akt, eine Treppe hinabsteigend" bei dem Label Buback veröffentlicht.
Diese Reihung ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn es bei F.S.K. eine Kontinuität des "Aaaffensounds" gibt, wenn die Band noch immer Musik spielt, die auch Leute packt, die des Deutschen nicht mächtig oder temporär ausgeklinkt sind; wenn Leute aus der Musik des Schriftstellers Thomas Meinecke, der Künstlerin Michaela Melián, des Wolfsburger Kunstverein-Leiters Justin Hoffmann und ihrer Kollegen also nicht nur intertextuell verschachtelte Referenzen von sehr schlauen Menschen heraushören. Und genau so ist es!
"Akt, eine Treppe hinabsteigend" überwältigt nämlich erst einmal mit dem routiniertest hingespielten Rumpelsound, den man seit langem gehört hat. Routiniertes Rumpeln ist ja eine Kunst für sich: Es darf nicht zu amateurhaft klingen, auch nicht zu gewollt, die Musiker müssen Lücken in den rhythmischen Flow hauen, aber zerfallen darf das Ganze nicht.
F.S.K. rumpeln auf ihrem Album - ohne, dass mit einem Computer oder Sampler produziert worden wäre - sogar zwei unterschiedliche Stile übereinander: den Sound von The Velvet Underground, samt Schellenkranz und epileptischen Gitarrenfeedbacks, und Kraut-Dub mit klebrig geschlurften Bassläufen. Beim Song "Josephine Baker in Paris" fallen sie in einen lässig swingenden Siebenachteltakt, die Intros der Stücke loopen sie manuell so lange ins Trackhafte, bis man denkt, es käme kein Gesang mehr. Kurz: Wenn es für Bands heute nichts wirklich Neues mehr zu spielen gibt, auch nicht mit klassischem Rockinstrumentarium, dann gehen F.S.K. mit diesem Umstand auf bestmögliche, frappierende Weise um.
Ein Blick auf das Albumcover zeigt die schlanken Beine eines namenlosen Sechziger-Jahre-Modells, und tatsächlich ist es eine hübsche Gedankenübung, sich von F.S.K. erklären zu lassen, wie diese Unbekannte in Zusammenhang mit Marcel Duchamp und Beate Klarsfeld steht, wobei auch der Unterschied zwischen "hinab" und "herab" entscheidend ist (der Titel von Duchamps Gemälde lautet ja "Akt, eine Treppe herabsteigend").
Konzentrieren wir uns hier aber aus Platzgründen darauf, dass die Platte ein regelrechtes Frauenalbum geworden ist - wenn solch eine Bemerkung bei den rundum gender-sensibilisierten F.S.K. erlaubt ist. Neben Beate Klarsfelds Schlagfertigkeit ("Eine Ohrfeige für Kurt Georg Kiesinger") werden vor allem laszive Weiblichkeiten zelebriert - sei es die einer Burlesque-Tänzerin, die in den USA der 1930er Jahre für ihren Striptease berühmt und später zur Thriller-Autorin wurde ("Gypsy Rose Lee und ihre Freunde") oder die Lady Chatterleys, die hier ein Internet-Flirt ist: "Plock-Plock / mit Lady Lady Chat / Plock-Plock / in ihrem elektronischen Bett / Plock-Plock / das ist doch nett".
"Lookalikes" mit Kaninchennase
Am allerschönsten aber ist, dass Michaela Melián, die wie eh und je nach Nico klingt, ohne dass man den Eindruck hätte, sie würde sie bewusst nachahmen, die beiden berückendsten Stücke singt. Da wäre "Unter dem Regenbogen": Ein Mädchen (nicht Judy Garland) verläuft sich im Untergeschoss von Oz und irrt an Blech und Plüsch vorbei, bis sie an einen Ort gelangt, den es wirklich nur im Alptraum geben kann: den "Fukushima Badesteg". Zum anderen schlüpft Melián in die Rolle eines "spirituellen Wesens" und zählt Defizite in ihrem Gesicht auf: weit auseinanderliegende Augen, weiche Tränensäcke, Kaninchennase. "Ich seh, glaub ich, echt unmöglich aus", singt sie.
Woran liegt es, dass man Melián, die hier nicht sich selbst meint, fasziniert an den Lippen hängt und sich aus den einzelnen Merkmalen ein scheinbar aufrichtiges Erzähler-Ich zusammensetzt? Fast fühlt man sich an Thomas Meineckes letzten Roman erinnert, den zwischen Düsseldorf und Salvador da Bahia jettenden "Lookalikes" (Suhrkamp): Auch darin lesen sich die Stellen packend, wo nicht adaptierte Figuren wie Justin Timberlake oder Josephine Baker sprechen, sondern ein spirituell suchender Erzähler scheinbar selbst Erlebtes berichtet.
Wandeln jetzt auch F.S.K. auf den Pfaden der klassischeren Prosa? Es dürfte Meinecke, der bei F.S.K. für die Texte verantwortlich ist, wohl nicht stören, wenn man so denkt - er würde vielleicht nur darauf hinweisen das besagtes Stück den Titel "Erykah sagt" trägt und vollständig auf einem autobiographischen Text basiert, den Erykah Badu ins Booklet ihres letzten Albums gedruckt hat.
Mögen doch andere darüber debattieren, wie ein solches Rendezvous zwischen einer ins Deutsche übersetzten afroamerikanischen R&B-Hohepriesterin und störrischem Velvet-Underground-Getrommel nun wieder mit restaurativen oder progressiven Verständnissen von Autorschaft und geistigem Eigentum zusammenpassen. Thomas Meinecke jedenfalls reihte sich - dafür hätte es keine Google-Recherche gebraucht, aber sicher ist sicher - nicht ein in die Unterzeichner des "Wir sind die Urheber"-Aufrufs.