Neue Zahlen zum Musikstreaming:Nur aus Trotz

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50 Prozent der Hörerinnen und Hörer von Spotify sind jünger als 30, und ihnen gefiel 2019 vor allem Deutschrap mit sehr viel Gucci-Gelaber.

Von Jan Kedves

Charts haben in der Regel den Anspruch, Publikumsvorlieben repräsentativ abzubilden. Dabei erfassen sie immer nur einen Ausschnitt. Früher, als die Media-Control-Charts noch wichtig waren, spiegelten sie die Plattenverkäufe und Radiovorlieben, nicht aber jene Hörerschaft, die auf Kassette überspielte Songs hörte oder von Freunden ausgeliehene Alben. Und die MTV-Video-Charts galten immer nur für diejenigen, die Kabelfernsehen hatten.

Es ist also auch Vorsicht geboten, wenn nun mal wieder Spotify, der weltgrößte Musikstreaming-Anbieter, nun unter der Überschrift "Das hörte Deutschland 2019" einen Jahresrückblick herausgibt. Deutschland, das wären 80 Millionen Hörerinnen und Hörer. Wie groß die Spotify-Nutzerschaft hierzulande ist, diese Information weigert sich die Pressestelle des schwedischen Unternehmens aber hartnäckig herauszugeben. Immerhin erfährt man, dass über 50 Prozent der Spotify-Hörerinnen und -Hörer jünger als 30 sind.

Denen gefällt also - wenn man die 20 "Top Tracks 2019 Deutschland" einmal ganz durchhört - sehr, sehr viel Deutschrap mit sehr, sehr viel Gucci. Die Badeschlappen und Baseballkappen der Luxusmarke waren 2019 immer noch die Rap-Accessoires schlechthin. Hübsch ist allerdings, wie Volkan Yaman alias Apache 207 in seinem Song "Roller", laut Spotify der Hit des Jahres, die Prahlerei ironisch bricht: "Gucci-Sandalen, ich trag' sie nur aus Trotz". Wie oft Vladislav Balovatsky alias Capital Bra, der meistgestreamte deutsche Spotify-Künstler 2019, die Marke erwähnt? Sehr, sehr, sehr oft. Stellvertretend sei nur der auf Platz 16 rangierende Song "DNA" von Hüseyin Kökseçen alias KC Rebell erwähnt. In ihm rappt Capital Bra als Gast: "Ghetto, Ghetto, Gucci, Gucci, Ghetto, Gucci (Gucci)".

Cem Toraman alias Summer Cem gastiert in "DNA" ebenfalls, er rappt: "Dieses Spotify macht mich noch behindert reich". Die Aussage irritiert, weil man zuletzt ja oft las, Spotify zahle nur Kleckerbeträge aus. Aber Streams summieren sich.

Wer etwa mit einem Song in der "Modus Mio"-Playlist landet, die von der Spotify-Redaktion in Berlin zusammengestellt wird, kann jedenfalls shoppen gehen: Die Playlist hat 1,3 Millionen Follower, und die Abrufe potenzieren sich, wenn die Songs, die freitags neu bei "Modus Mio" aufgenommen werden, noch in andere Playlists rutschen. Irgendwann klingt dann alles gleich, nach diesem Autotune-Karibiktapeten-Reggaeton mit entsicherter Knarre.

© SZ vom 04.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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