Neue Musik:Zart und beredt

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Ein Konzert zum 70. Geburtstag des Komponisten Nikolaus Brass

Von Klaus Kalchschmid, München

Kann man den runden Geburtstag eines zeitgenössischen Komponisten besser feiern als mit einem hochkarätigen Konzert seiner Werke? Wie schon zum Sechzigsten gab es auch zum Siebzigsten von Nikolaus Brass ein Kammerkonzert im "Schwere Reiter", dieser wunderbaren Oase für zeitgenössische Musik am Leonrodplatz. Trotz aller nüchternen Funktionalität fühlt man sich dank des Holzfußbodens, der schöne Gebrauchsspuren aufweist, in diesem warmen Ambiente wohl. Das verhinderte freilich beim ersten - und ältesten - Stück des Abends ein leichtes Befremden keineswegs. Auch der Titel "Kenosis" für das Bläsertrio von 1999 half wenig, bedeutet er doch im übertragenen Sinn den Verzicht der göttlichen Attribute bei der Menschwerdung Jesu. Eher konnte man mit den kargen, körperlosen Verflechtungen von Flöte (Tobias Kaiser), Oboe (Yukino Thompson) und Klarinette (Stefan Schneider), die wörtliche Bedeutung des griechischen Wortes ("Leerwerden") in Beziehung bringen.

Dagegen war die "Music by Numbers" in der Fassung für Akkordeon (Kai Wangler) und Klarinette (Oliver Klenk) mit den jeweils für ein Notenblatt komponierten, fein um sich kreisenden kleinen melodischen Phrasen ganz unmittelbar zu verstehen, ja zu genießen. Und sicher war der Bezug zu den kleinteiligen Floskeln eines Leoš Janáček eine durchaus bewusste Reminiszenz und Referenz. Jedenfalls hätte man der feinen Formation, bei der das Akkordeon dank seiner Klangerzeugung eine Art korrespondierendes Blasinstrument darstellt, aufgrund der beiden wunderbar zart und beredt erzählenden Musiker stundenlang zuhören können.

Aber da stand das Minguet Quartett, mit der Musik von Nikolaus Brass nicht erst seit der Einspielung der ersten fünf Quartette für CD bestens vertraut, schon in den Startlöchern, um den Abend zu krönen: Beim "Fünften Streichquartett mit zwei obligaten Klarinetten" aus dem Jahr 2013, im Untertitel "Aus dem Wörterbuch der Liebenden" genannt, agieren die beiden Klarinetten (Oliver Klenk und Stefan Schneider) tatsächlich wie ein einziges Instrument und wechseln dabei immer wieder ihre Funktion. Dabei kommen sie jedoch kaum in die Nähe eines Konzertierens mit den Streichern, sondern steuern oft eine sanftere oder auch grellere Farbe bei. Einmal gerieren sie sich gar wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts und schrillen laut wie Alarmglocken oder ein Martinshorn, um sich erst allmählich wirklich zu beruhigen und in schwebend an- und abschwellende Klänge zu münden.

In einem langen, "ruhig" zu spielenden, durchweg leisen Abschnitt, der die Hälfte des 20-minütigen Stücks umfasst, kommt die Musik fast ganz zum Stillstand. Mit nur minimal größerer Bewegung und Lautstärke geht das faszinierende Sextett von Nikolaus Brass in großartiger Interpretation zu Ende.

© SZ vom 20.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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