Neue Indizien:Todesspritze

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Wurde der südamerikanische Dichter Pablo Neruda doch ermordet? Das schließt nun sogar die chilenische Regierung nicht aus.

Von Peter Burghardt

Was wäre gewesen, wenn Chiles wichtigster Dichter länger als 69 Jahre gelebt hätte? Wenn Pablo Neruda die Stimme des Widerstandes gegen den Diktator Augusto Pinochet geworden wäre? Die Frage kommt 42 Jahre zu spät. Aber man darf sie mehr denn je stellen, seit immer offensichtlicher wird, dass Neruda keines natürlichen Todes gestorben ist.

Am 11. September 1973 hatte Pinochet den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende gestürzt, ein Freund des Dichters und Diplomaten. Allende erschoss sich mutmaßlich im bombardierten Palast La Moneda. Neruda verschied zwölf Tage danach in einer Klinik von Santiago, offiziell erlag er an jenem 23. September 1973 seinem Prostatakrebs. Doch vermutlich wurde der damals bekannteste Regimegegner ermordet.

Sein Chauffeur und Helfer Manuel Araya erhob den Vorwurf, der Schriftsteller sei mit einer Spritze im Krankenhaus vergiftet worden. Ein Teil der Familie und die Neruda-Stiftung taten das erst als Verschwörungstheorie ab - ein anderer Teil, die chilenischen Kommunisten, Regierung und Justiz nehmen den Verdacht sehr ernst. Inzwischen soll in seinen exhumierten Resten eine möglicherweise tödliche Substanz entdeckt worden sein. Nicht sein Tumor, sondern "höchstwahrscheinlich" Fremdeinwirkung habe Neruda getötet, räumte jetzt sogar Chiles Innenministerium ein. Details soll der Untersuchungsrichter klären.

Kläger und Ermittler finden es schon länger befremdlich, dass der Nobelpreisträger eine Injektion in den Bauch bekam und wenige Stunden später sein Herz stillstand, obwohl er keineswegs als todgeweiht galt und tags darauf ins Exil nach Mexiko fliegen sollte. Die Causa Neruda passt zu weiteren prominenten Fällen: Wie mindestens 3000 andere Oppositionelle auch ließ Pinochet den Sänger Victor Jara, Allendes Außenminister Orlando Letelier, Allendes Armeechef Carlos Prats und den früheren Präsidenten Eduardo Frei umbringen - diesen 1982 durch eine Injektion in der Clínica Santa María, in der Pablo Neruda so seltsam starb.

Der Autor hätte im Ausland vielleicht noch eine Zeit lang gegen die mörderische Junta in seiner Heimat schreiben und sprechen können. Nun ist sein Grab vor seinem Haus von Isla Negra am Pazifik seit mehr als zwei Jahren leer, weil seine Gebeine untersucht werden. Gut möglich, dass Neruda als Mordopfer Pinochets zurückkehrt.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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