Neue CD:Keith Jarrett

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(Foto: ECM)

Von Thomas Steinfeld

Das letzte Stück, das der Pianist Keith Jarrett am letzten Abend einer Tournee spielte, die ihn im Sommer 2016 durch halb Europa geführt hatte, war "Over the Rainbow": ein Song, der aus dem Musical "The Wizard of Oz" stammt, im Jahr 1939 zum ersten Mal in die globale Umlaufbahn des volkstümlichen Liedguts geriet und daraus seitdem nicht mehr entlassen wurde. Keith Jarrett schließt seine Solokonzerte oft mit Zugaben aus dem geläufigen Repertoire ab. "Over the Rainbow" hat er schon häufiger gespielt. Wenn er das Lied jetzt, an diesem letzten Abend im Münchner Gasteig, noch einmal intoniert, scheint es damit eine besondere Bewandtnis zu haben. Es ist, als wollte er am Bekanntesten nachweisen, wie unwahrscheinlich Musik ist. Dass es so etwas wie organisierten Klang gibt, dass man damit nicht nur die Ohren, sondern auch die ganze Welt füllen kann, dass es schließlich so etwas wie Harmonie gibt, die all diese Klänge in einen sinnvollen Zusammenhang überführt: Das alles scheint Keith Jarrett sagen zu wollen, um am Ende doch nur, wie im Original des Liedes, das ganze Unternehmen ins Wünschen zu überführen.

Seit mehr als vierzig Jahren tritt Keith Jarrett allein auf, als der eine Mensch, der vor seinem Flügel sitzt, ein oft nach Tausenden zählendes Publikum vor sich. Und dann soll sich, aus dem ersten Anschlag heraus, spontan, eine Komposition ergeben, wie es zuvor noch nie eine gegeben hat. Zwölf Teile hatte das Konzert bei diesem Auftritt. Sie werden als "Suite" ausgegeben, nicht zu Unrecht, weil jede neue Improvisation auf die vorhergehende reagiert und auf eine eher zurückhaltende Improvisation eine eher energische, auf etwas Melodiöses ein Boogie oder ein Rag, zumindest in der linken Hand. Sinnlos dürfte es sein, die Solo-Improvisationen zu gradieren, soweit sie auf Tonträgern festgehalten sind: "München 2016" (ECM Records) besitzt nicht den großen Glanz, den "La Scala" (1997) innehatte, oder die Dichte in kleinen Formaten, die "Rio" (2011) auszeichnete. Die Improvisationen sind hier feiner, zuweilen in etwas Abstraktes, gleichsam Philosophisches übergleitend, was besonders in den langsamen Teilen auffällt. Der Wunsch, ein luftiges, flüchtiges Gebilde, scheint hier mit Ohren festzuhalten zu sein.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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