Neue Alben von Prince:Gib mir die Zeit zurück

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To get into the rhythm is good for the soul: Prince 2014. (Foto: Warner Brothers)

Die längste und gleichzeitig kreativste Lila Pause in der Karriere von Prince ist beendet: Er ist wieder da, und gleich mit zwei parallel erscheinenden Alben. Seine Songs handeln auch diesmal von Sex.

Von Eckhart Nickel

Es dauert genau drei Songs und vier Akkorde, bis Prince es geschafft hat: Salutiert von Soundeffekten, die klingen wie Lichtschwerter aus dem ersten "Star Wars" von George Lucas, und unterlegt mit einer sparsam handgedroschenen Bassline singt The Sexy Motherfunker die epistemische Ballade seiner Generation: "Breakdown" heißt das Stück, das nicht nur die Kapitulation eines Lebensstils vor der Macht der Liebe beschreibt, sondern auch, wie er es beim Namen nennt, die allertraurigste Geschichte seiner Existenz.

Der Mann, der immer das Haus mit dem größten Pool hatte und die Silvesterpartys feierte, wie sie fielen: "the first one intoxicated, the last one to leave / waking up in places that you would never believe", fordert die Rückgabe der verlorenen Zeit: "Give me back the time, you can keep the memories." Und aus dem "You Babe", bei dem er sich für all seine nicht so guten Taten von früher entschuldigt, weil sie die einzige ist, die ihn auf die Knie zwingt, in den Zusammenbruch hinein, intoniert er den Urschrei dieses Albums, eine flehende Bitte um Verzeihung, bei der es dann nicht mehr so wichtig ist, ob es sich um eine Frau, die Liebe allein oder gleich Gott selbst handelt: In der sich steigernden Falsettstimme von Prince wird "Breakdown" in all seiner Stille zum paradoxen Brennpunkt seines Lebenswerks.

Kreative Lila Pause

Was er sich sonst für seine größten Pophits aufbewahrt, die Schreie, Kiekser und exaltierten Oden seiner beispiellosen Kunststimme, sind dieses Mal in jenes wirklich wunderschöne Low-Tempo-Stück eingeschrieben, das in direkter Nachfolge der Tränenhymne "Sometimes It Snows In April" vom 1986er Album "Parade" steht.

Gewiefte Numerologen werden den zentralen Stellenwert des Stückes für das Album vielleicht an der exakten Länge von vier Minuten und vier Sekunden festmachen. Denn vier Jahre, das ist die Zeit, die seit dem letzten Album vergangen ist. Die längste und gleichzeitig, wie man sieht, oder besser hört, kreativste Lila Pause in der Karriere von Prince ist beendet. Er ist wieder da, und gleich mit zwei parallel erscheinenden Alben (Warner Brothers).

Unter einer solch superlativ konzertierten "Parallelaktion", wie wir sie in der Literatur vom "Mann ohne Eigenschaften" kennen, macht es der "Künstler, den man zuvor als Prince kannte", nicht mehr. Prince, der ja auf seine Weise auch für den Möglichkeitssinn in der Musik steht, probiert Stile an wie Kleider. Auf dem mit dem weiblichen Trio 3rd Eye Girl aufgenommenen "Plectrumelectrum" spielt der Meister Gitarre, als würde er mit Cream für "Sunshine Of Your Love" proben.

Gefangensein in der Kunst

Überhaupt ist die ganze, im nahezu analog klingenden Rock-Stil sparsam abgemischte Platte eine Reminiszenz an die Seventies, von Led Zeppelin und den frühen Fleetwood Mac-Jahren ("Whitecaps") bis zum Punk ("Marz"). Der musikalische Brückenschlag zu "Art Official Age (Nr. 2)" wird subtil in einem Stück angedeutet, das sich auf beiden Alben befindet, nur in zwei verschiedenen Versionen: "Funknroll", wobei die Girls mit den Gitarren eher zur Roll-Seite gehören und ihr Gebieter zum Funk.

Wir haben es also, kurz gesagt, mit Konzeptkunst zu tun, die das Gefangensein des Künstlers in der Kunst thematisiert. Denn aus dem "Age" wird im Titelsong gleich ein "Art Official Cage", ein Käfig also. Im Labyrinth der Musikgeschichte hebt das Stück an wie eine Persiflage auf die Weather Girls und ihren Gassenhauer "It's Raining Men".

Ob er die etwas konstruiert wirkende Subgeschichte der Lieder, die in einer übertechnologisierten Zukunft spielen, wirklich gebraucht hätte, sei dahingestellt. Dass das Leben eine Bühne ist, auf der alle auf- und abtreten, wie in "Clouds" beschrieben, und die Menschheit wie in Huxleys "Brave New World" mit Medikamenten ruhiggestellt wird, entgrenzt die Rahmenhandlung nicht in Richtung großes Kino. Filmtauglich ist Prince eigentlich schon immer gewesen. Inzwischen sieht er ohnehin so aus, wie Jason Schwartzman ihn im hoffentlich bald zu drehenden Biopic von Wes Anderson spielen wird: als Kreuzung aus König Louis Seize (den Schwartzman an der Seite von Sofia Coppolas "Marie Antoinette" geben durfte), Falcos Amadeus und Johnny Guitar Watson. Nicht nur vom Look allgemein ist Prince heute bewusst wieder zur Zeit seiner größten Erfolge zurückgekehrt: Die überdimensionale Rundglas-Sonnenbrille trug er bereits 1984 zu "When Doves Cry". Der noch ausgedünntere Hauch von einem Schnurrbart zitiert schon fast das Symbol, in das er sich jahrelang als TAFKAP (The Artist Formerly Known As Prince) verwandelt hatte, und stammt ebenfalls von damals.

Der ausgeprägte Sinn für die perfekte Durchformung seiner künstlerischen Existenz zum Popstar hat Prince auch beim neuen Doppelstreich nicht im Stich gelassen. Wo das herkommt, muss man nicht lange fragen, sein Vater hat es einmal wie folgt formuliert: "Ich habe meinen Sohn Prince genannt, weil ich wollte, dass er alles machen kann, was ich gerne gemacht hätte." Das hat er dann auch genau so in die Tat umgesetzt. Und weil Prince Rogers Nelson, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, selbst als er noch jung war und Geld brauchte, beim Durchblättern der Gelben Seiten keinen Job finden konnte, der ihm auch nur annähernd vorstellbar schien, macht er seither das, was er schon damals im Minneapolis der Siebzigerjahre am besten konnte: Musik.

This CD cover image released by Warner Bros. Records shows 'Art Official Age,' by Prince. (AP Photo/Warner Bros. Records) (Foto: AP)

Mr. Nelson, wie er auf "Art Official Age" mehrfach von einer an die weibliche iPhone-Assistentin namens Siri erinnernden Stimme angesprochen wird, wie sie unlängst Spike Jonze mit Scarlett Johansson in seinem Kinofilm "Her" wundervoll verewigt hat, hat sein persönliches Credo wie jede gute Kunst, die sich selbst zum Thema hat, an entscheidender Stelle versteckt. Nicht gesungen, sondern gesprochen, heißt es da, im programmatisch an sich und alle anderen gerichteten Titel "Fixurlifeup": "Don't worry about what the crowd does / just worry about being good at what you love / don't make this complicated / you know it's true / don't make us put somebody else into you."

Todesfurcht schwingt mit

Ich ist kein anderer, es ist immer wieder Prince. Und der handelt seit jeher vom Sex. So auch diesmal. Ein Song wie "Pretzelbodylogic" spricht von der Verflechtung der Geschlechter in einem, nun, man könnte sagen, Wunschkonzert der Körperteile. Dem Zustand, wenn Liebende, wörtlich genommen, wieder einfach nur mit der Zunge statt in Zungen sprechen. Figurbetont wie Prince schon immer war, nimmt es auch nicht wunder, dass der Rhythmus von jeher eine seiner größten Stärken war. Von "Kiss" über "Get Off" bis zu "Sexy MF" hat er gezeigt, was er bei seinen Funksoulbrothers und Hausgöttern wie James Brown gelernt hat: das perfekte Zusammenspiel von Gitarre und Schlagzeug, das einen beim Tanzen in die Knie zwingt.

Wie singt er gleich? "To get into the rhythm is good for the soul / Put your phone down get your body on." Das gelingt vor allem bei "Funknroll", das in beiden Versionen an "Let's Go Crazy" erinnert, ob synthetisch pulsierend oder laut und kratzig mit Gitarrensaiten. Und auch, wenn auf keinem der beiden Alben diesmal ein wirklicher Riesenhit dabei ist, werden sie, eben wegen eines Stücks wie "Breakdown", bleiben. Nicht ohne Grund hat es Prince beim Auftritt in der Nightshow von Freund Arsenio Hall als sein Lieblingsstück bezeichnet. Vielleicht schwingt im Thema des Zusammenbruchs ja bereits etwas Todesfurcht mit. Obwohl er gar nicht danach aussieht, ist Prince nunmehr 56 Jahre alt.

© SZ vom 04.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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