Neu im Kino: "Persepolis":Trouble in Teheran

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Charmante Schwarzweißmalerei: Marjane Satrapi hat ihren eigenen Comic-Bestseller "Persepolis" verfilmt. Das Ergebnis ist komisch und todtraurig zugleich.

Martina Knoben

Es muss ein merkwürdiges Gefühl sein, das eigene Leben als Comic zu zeichnen. Und, schlimmer noch, als Trickfilm: 24 Mal pro Sekunde das eigene Gesicht . . . Marjane Satrapi hat nun - zusammen mit Vincent Paronnaud - ihren autobiographischen Comic-Bestseller "Persepolis" verfilmt.

Die kleine Marjane hat es nicht leicht - Szenenbild aus "Persepolis". (Foto: Foto: ddp)

Und die unendlich vielen Bilder der kleinen Marji in Iran und der erwachsen werdenden Marjane in Wien habe sie sich nur vom Leib halten können, indem sie sie als Fiktion betrachtete: Es ist nur eine Figur!, hat sie sich immer wieder gesagt. Diese Haltung hat "Persepolis" seinen besonderen Ton beschert, eine charmante Mischung aus leidenschaftlichem Ernst und Selbstironie, die den Film komisch und todtraurig zugleich sein lässt - in Cannes gab es dafür dieses Jahr den Preis der Jury.

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Jasmin und Nikotin, das sind die beiden Düfte, die diese Selbstdarstellung begleiten. Mit den Jasminblüten, die schon durch die märchenhaft-ironische Titelsequenz kreiseln, wird die Erinnerung an Marjanes Großmutter beschworen, an eine behütete Kindheit in einer großbürgerlichen Familie in Teheran, die persönliche Integrität als wichtigste Lebensregel vermittelt.

Ein Reigen Ausgestoßener

In Iran nach der Islamischen Revolution - als die Mullahs an die Macht kommen, ist Marji acht - eckt das Kind damit zunehmend an. Um das aufmüpfige Mädchen zu schützen, wird die 14-Jährige auf eine Schule nach Wien geschickt, der Beginn einer west-östlichen Odyssee.

In eine Zigarettenqualmwolke gehüllt sitzt die mittlerweile erwachsene Marjane auf dem Flughafen Orly in Paris und grübelt über eine Rückkehr nach Teheran nach. Die Sequenz, die sich nicht im Comic findet und als einzige farbig gehalten ist, leitet eine 16 Jahre umfassende Rückblende ein: 16 Jahre iranische Geschichte, vom Sturz des Schahs und der wilden Euphorie, die ihn begleitete, bis zur zweiten Emigration Marjanes aus einem Land, in dem junge Männer zu Tode gehetzt werden, weil sie mit Frauen feiern und Wein trinken.

Die Zigarettenqualmwolke, die Marjane während dieser Rahmenhandlung umgibt wie ein Mantel, wird dabei auch zum Rauchzeichen, das die Heimwehkranke im Exil mit vielen anderen Frauen in iranischen Filmen verbindet. Weil Frauen in Iran auf der Straße nicht rauchen dürfen, verströmt die Zigarette dort noch den Geruch von Rebellion, wird sie zum Erkennungszeichen wie in Jafar Panahis Meisterwerk "Der Kreis", wo sie einen Reigen Ausgestoßener verbindet.

Popmusik, vertickt wie eine Droge

Auch "Persepolis" erzählt von den Repressionen der Islamischen Republik, aber als Komödie, aus der Perspektive eines jungen Mädchens. Das ist deshalb so zwingend, weil der Reinheitsterror der Mullahs die Satire schon in sich trägt. Lächerlich, dass die Kunststudentin Marjane ihre Anatomiestudien an verschleierten Frauen machen soll, von deren Körpern sich nichts erkennen lässt.

Oder dass Revolutionswächter die zum Unterricht eilende junge Frau anhalten, weil ihr Gesäß beim Rennen zu stark in Bewegung sei. Zu den komischsten Szenen gehört auch ein Besuch der vielleicht 13-jährigen Marji auf dem Schwarzmarkt von Teheran, wo in lange Mäntel gehüllte schwarze Gestalten dekadente Popmusik verticken wie Drogen: "Stifi Wönder, Abba, Julio Iglesias...".

Auf der nächsten Seite wird ganz ladylike Pfeife geraucht.

Die Komik solcher Szenen hatte schon der Graphic Novel von Marjane Satrapi ihren Erfolg beschert. Mehr als eine Million Mal wurden die Bände verkauft und in mehr als 25 Sprachen übersetzt. Indem die 1969 geborene Zeichnerin ihre Kindheitserlebnisse und Pubertätsnöte mit der Schilderung historischer Großereignisse verknüpfte, belebte sie nicht nur die Gattung der autobiographischen Comics, die 2000, als "Persepolis" erschien, sich in spätpubertären Nabelschauen erschöpft hatte.

Sie machte vor allem auch ein Regime erlebbar, das als Schurkenstaat durch die Nachrichten geistert, dessen Alltagswirklichkeit darüber jedoch völlig aus dem Blick gerät. Indem sie Schleierzwang und Märtyrerverehrung in einen Alltagskontext stellt, macht sie die Unterdrückung umso realer.

Caligari in Iran

Zur Ästhetik der Islamischen Republik passt die Schwarzweißmalerei Satrapis übrigens hervorragend. Im Gegensatz zum Comic, der ganz puristisch gehalten ist - Farbe erscheint der Zeichnerin als zu gewöhnlich -, gibt es im Film immerhin auch Grautöne. Die holzschnittartige Anmutung aber ist geblieben. Marjane Satrapi ist ein erklärter Fan des deutschen Expressionismus, der das Filmbild zur Graphik machen wollte - in "Persepolis" funktioniert die Transformation umgekehrt.

Einige der eindringlichsten Momente sind unmittelbar aus der Zeichnung heraus entwickelt, wenn etwa Soldaten in Gasmasken auf Demonstranten schießen und die Unmenschlichkeit des Angriffs durch die Nichtgesichter der Angreifer illustriert wird - auf weiße Löcher für die Augen und Nasenlöcher sind diese Gasmaskengestalten reduziert. An anderer Stelle wird ein Exkurs in die jüngere iranische Geschichte zum Puppentheater, in dem der Vater des Schahs und ein britischer Diplomat wie Hampelmänner agieren.

Da emanzipiert sich der Trickfilm auf erfrischende Art und Weise von den Grenzen des Realfilms. Auch Gespräche der kindlichen Marji mit Gott, ein Pillen-trip oder der Remix eines Liebesabenteuers in Wien, in dem der ehemals Geliebte zum pickeligen, popelnden Muttersöhnchen umgedeutet wird, sind in einem Realfilm so nicht denkbar.

Sachertorten-Folklore

Um 16 Lebensjahre in 96 Filmminuten zusammenfassen zu können, legen die Regisseure ein ungeheures Tempo vor. Das elliptische Erzählen will Marjane Satrapi unter anderem bei Martin Scorseses "Goodfellas" abgeguckt haben, wie sie und Vincent Paronnaud sich überhaupt an westlichen Realfilmen orientieren. Vor allem der italienische Neorealismus ist ein erklärtes Vorbild, auch das ein schwarz-weißes, ein "armes", ein Nachkriegskino.

Für Glamour sorgen in der französischen Originalfassung die Stimmen von Chiara Mastroianni als Marji, Catherine Deneuve als ihre Mutter und Danielle Darrieux als ihre hinreißende Großmutter, die übrigens immer wieder, ganz ladylike, Pfeife raucht. Leicht übersehen lässt sich, wie stark Marjane Satrapi, die seit vielen Jahren in Paris lebt, auch dem iranischen Kino verbunden geblieben ist. So findet sich auch in "Persepolis" eine Kreisstruktur, wie sie so viele iranische Filme der vergangenen Jahre geprägt hat.

Erst in der letzten Filmszene bricht "Persepolis" aus diesem Kreis aus. Das Exil als Notausgang, wie es, als prominentestes Beispiel, die Familie Makhmalbaf gewählt hat, die mittlerweile ebenfalls in Paris lebt. Exotisch wirken in "Persepolis" nur die Episoden in Wien, das kalt und unfreundlich wirkt, so unreal wie für uns Iran. Ein Fall von Sachertorten-Folklore.

PERSEPOLIS, F 2007 - Regie, Buch: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud. Art Director: Marc Jousset. Schnitt: Stéphane Roche. Musik: Olivier Bernet. Sprecher: Jasmin Tabatabai, Nadja Tiller, Hanns Zischler, Eva Kryll, Marcus Off. Prokino, 96 Minuten.

© SZ vom 21.11.2007/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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