Neu im Kino: "Gone Baby Gone":Klare Amtsanmaßung

Lesezeit: 3 min

Nach jeder Menge Action und Bennifer-Geschichten scheint Ben Affleck mit seinem Regiedebüt zu sich selbst zu finden. "Gone Baby Gone" erzählt eine ungewöhnliche Heldengeschichte im Loser-Milieu von Boston.

Susan Vahabzadeh

Man hätte es sich eigentlich die ganze Zeit denken können: Ben Affleck ist in seinem tiefsten Innern ein geradliniger Moralist. Ein wenig davon schimmerte durch in manchen seiner Rollen, als Agent Jack Ryan in "Der Anschlag" beispielsweise - ein aufrichtiger Weltenretter - und jede Menge in "Good Will Hunting". Man hatte, in den Jahren der Action-Filme und Bennifer-Geschichten, fast vergessen, dass er nicht mit seinen Rollen in Kevin-Smith-Komödien bekannt geworden ist, irgendwo zwischen Jay und Silent Bob, sondern als oscarprämierter Drehbuchautor, für "Good Will Hunting", zusammen mit Matt Damon eben.

Seither hat man oft das Gefühl gehabt bei seiner Arbeit als Schauspieler, dass er ein bisschen mehr gewollt hätte als tatsächlich da war auf der Leinwand; und vielleicht findet er nun doch eher als Filmemacher zu sich selbst. Für sein Regiedebüt "Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel" hat er sich jedenfalls eine Geschichte erwählt, die im Kern davon handelt, dass Recht nicht biegsam ist; wenn man einmal angefangen hat mit dem Durchschlängeln, sich anmaßt, die Anteile am Glück und die Rollen von Gut und Böse zu verteilen, ist alles schon verloren.

Hier geht's zum Kinoportal von sueddeutsche.de ...

Casey Affleck, Bens jüngerer Bruder, spielt den Detektiv Patrick Kenzie, der zusammen mit seiner Lebensgefährtin Angie (Michelle Monaghan) Ehebrechern nachstellt, und in einen Kriminalfall verwickelt wird, der sich in seiner Nachbarschaft in Boston abspielt. Die kleine Dottie ist aus ihrem Bett verschwunden, die Mutter jammert vor laufenden Fernsehkameras. Ihr Bruder und dessen Frau engagieren Patrick und Angie - die will mit einer Kindsentführung eigentlich nichts zu tun haben, weil ihr die Sache zu nahe geht -, um der Polizei auf die Sprünge zu helfen.

Der Start des Films - der schon im vergangenen Jahr gedreht worden war - wurde in England erst einmal verschoben, dort fand man die Nähe zum Fall der verschwundenen Madeleine zu taktlos. Die Ähnlichkeiten verschwinden schnell, denn Dottie kommt keineswegs aus einer Vorzeigefamilie. Einen Vater hat sie nicht, und die Mutter, findet Patrick heraus, hält sich mit Drogendeals über Wasser. Patrick und Angie tun sich mit den Polizisten zusammen, die der Chef der Einheit für Verbrechen gegen Kinder (Morgan Freeman) auf den Fall angesetzt hat.

Rebellion gegen die Finsternis

Die Welt um Patrick herum ist voller Fallen, er ist vertrauensselig und fällt herein, lässt sich manipulieren. Es sieht verdammt danach aus, als sei die Entführung ein Racheakt für das, was die junge Mutter getan hat - sie ist mit dem Geld eines Drogenbosses abgehauen und dachte, sie kommt damit durch. Aber dann kommt der Jungdetektiv einem zweiten Entführungsfall auf die Spur. Patrick freundet sich mit einem der beiden Polizisten an - Remy, den Ed Harris als undurchsichtige Gestalt, voll Charme und Energie, aber gleichermaßen arrogant und gewalttätig spielt -, und dann muss er irgendwann entscheiden, ob der Zweck wirklich alle Mittel heiligt.

Ben Affleck hat diesen Film großartig besetzt - Harris, Freeman, Amy Madigan, dazu Monaghan und Casey Affleck, der der Feigling Bob Ford war und immer besser wird in letzter Zeit. Wie sich die Geschichte dreht und wendet bis zu ihrer Auflösung, ist ziemlich trickreich inszeniert, und auch sehr gut geschrieben - von der Romanvorlage, "Kinderspiel" von Dennis Lehane, haben sich Affleck und sein Co-Autor Aaron Stockard manchmal recht weit entfernt, und sie sind die Sache völlig anders angegangen als Brian Helgeland, der für Eastwood Lehanes "Mystic River" adaptiert hat.

Bei Eastwood/Helgeland wird aus Boston ein Universum der verlorenen Seelen, der vom Leben Gezeichneten. Affleck setzt der Finsternis Kampfgeist entgegen, Rebellion. Es ist wirklich schön, zuzuschauen, mit welch erbitterter Entschlossenheit er sein Ding durchzieht, Patrick mit stoischer Miene nicht hinnehmen lässt, dass eine Lüge nicht wie die andere sein soll, Korruption schon mal vorkommt und Verbrecher Verbrecher sind, egal, wie gut die Absichten klingen, die sie vorspiegeln. Was dabei herauskommt, ist ein für Hollywood-Verhältnisse sehr ungewöhnlicher Heldenbegriff. Das amerikanische Kino ist voll von Ehrenmännern, die ihre eigene Ordnung herstellen. Für Patrick ist das klare Amtsanmaßung.

GONE BABY GONE, USA 2007 - Regie: Ben Affleck. Buch: Ben Affleck, Aaron Stockard. Nach dem Roman von Dennis Lehane. Kamera: John Toll. Schnitt: William Goldenberg. Mit: Casey Affleck, Michelle Monaghan, Ed Harris, Morgan Freeman, John Ashton, Amy Ryan, Amy Madigan. Walt Disney Studios, 114 Min.

© SZ vom 29.11.2007/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: