Netz-Depeschen:Majestät ist beleidigt

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Kundenservice wie in der chinesischen Zensurbehörde: Apple wollte mit den regierungskritischen Karikaturen von Mark Fiore nichts zu tun haben - bis er den Pulitzer-Preis gewann.

Niklas Hoffmann

Dass Lächerlichkeit nicht tötet, bezeugt zwar ein französisches Sprichwort. Aber die autoritären Herrscher aller Epochen waren sich stets darin einig, in dieser Frage lieber kein Risiko einzugehen. Der Kopf des "Bürgerkönigs" Louis Philippe, der sich Stück für Stück mehr in eine große, fleischige Birne verwandelt - diese Bildfolge von Charles Philipon ist bis heute eine der Ikonen der Karikaturgeschichte. Sie brachte ihrem Schöpfer eine von mehreren Anklagen wegen Majestätsbeleidigung ein.

Laut Apple machen seine Zeichnungen "Personen des öffentlichen Lebens lächerlich": Mark Fiore. (Foto: Foto: Reuters)

Wohlwollende Diktatur

Ein Gefängnisaufenthalt drohte dem amerikanischen Karikaturisten und Trickfilmer Mark Fiore zu keiner Zeit. Im Gegenteil: In der vergangenen Woche wurde ihm die höchste Ehre der US-Medienwelt zu Teil, als er für seine Cartoons mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde - und zwar als erster Medienschaffender, der ausschließlich online arbeitet. Doch in demselben, fast ein bisschen historischen Moment, in dem auf Fiore der ganze Glanz des digitalen Zeitalters hätte fallen können, wurde er auch zum Symbol für die Schattenseiten des nun anbrechenden Apple-App-Zeitalters, das nicht nur Web-Vordenker wie Cory Doctorow als Abkehr von der Freiheit des Netzes kritisieren, als gefährliche Entwicklung hin zu einer "wohlwollenden Diktatur" .

Durch ein Interview, das Laura McGann für das Blog des an der Harvard-Universität angesiedelten "Nieman Journalism Lab" mit dem glücklichen Gewinner führte, kam ans Licht, dass Apple bereits im Dezember Fiores Bewerbung um Zugang zum iStore abgelehnt hatte. Für iPhone oder iPad darf er demnach keinerlei Karikaturen anbieten. Die ihm zugegangene Begründung liest sich ein wenig, als habe Apple erfahrenen Kräften der chinesischen Zensurbehörde eine Schulung in Sachen Kundenservice angedeihen lassen: Leider habe man nach eingehender Prüfung feststellen müssen, heißt es in der Ablehnung, dass Fiores Zeichnungen "Personen des öffentlichen Lebens lächerlich machten".

Eine treffende Definition von Inhalt und Zweck politischer Karikatur, möchte man meinen - für Apple aber ein Ausschlusskriterium. Die Mitarbeiter verwiesen auf einen Abschnitt in den Geschäftsbedingungen, der Apple die Ablehnung von Anwendungen erlaubt, die zum Beispiel "obszön, pornografisch oder diffamierend" seien. Beispielhaft beanstandeten die Apple-Humorwarte ausgerechnet "Obama Interruptus", einen Animations-Clip, der zu Fiores bei der Pulitzer-Jury eingereichten und schließlich preisgekrönten Arbeiten gehörte.

Vorzugsbehandlung

Einen Tag, nachdem McGanns Blogeintrag im Netz hohe Wellen schlug, meldete sich am Freitag Apple bei Mark Fiore und bat um Wiedervorlage seines Zulassungsantrags. An der Bewilligung dürften diesmal kaum Zweifel bestehen, da inzwischen auch Steve Jobs' Sicht der Dinge bekannt ist: "Das war ein Fehler, der in Ordnung gebracht wird", schrieb er einem Apple-Kunden auf dessen persönliche Beschwerde.

Doch Fiore macht sich im Gespräch mit Wired keine Illusionen darüber, dass es nur die prestigeträchtige Auszeichnung ist, die ihm jetzt eine Vorzugsbehandlung durch Apple einträgt: "Wenn du jemand bist, von dem noch niemand etwas gehört hat, und du hättest eine großartige Satire-App - du würdest sie nicht durchkriegen." Die renommierte Fachzeitschrift Columbia Journalism Review versucht denn auch, den Fall Fiore zur Cause célèbre und zum Anstoß für ein Umdenken zu machen.

Medienunternehmen, fordert sie, sollten ihre iPad-Anwendungen so lange zurückhalten, bis Apple ihnen uneingeschränkte Entscheidungsgewalt über ihre Veröffentlichungen einräume. Noch könne gehandelt werden; sei das iPad aber erst zur wichtigen neuen Umsatzquelle geworden, kämen solche Forderungen wohl zu spät. Die Columbia Journalism Review verweist auch auf eine Nachfrage des Medienbloggers Dan Gillmor bei den größten US-Zeitungen, ob nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge Apple einseitig ihre Inhalte aus den iPad-Anwendungen löschen dürfe. Geantwortet hat keine einzige.

© SZ vom 19.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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