Neo-Western:Dollar Bill Blues

Lesezeit: 4 Min.

Es sind wieder Outlaws unterwegs, und Texas Ranger verfolgen sie. David Mackenzies' Western "Hell or High Water" spielt ganz gegenwärtig in einem Amerika, in dem nur noch die Banken gewinnen.

Von Tobias Kniebe

Da kann man schon mal philosophisch werden, wenn man tagelang in den staubigen Weiten des Westens auf Verbrecherjagd geht. Wie der Texas Ranger Alberto, ein Nachfahre der Comanchen, der eines farblosen Morgens vor dem T-Bone-Café in der Kleinstadt Coleman sitzt. "Vor 150 Jahren war das alles das Land meiner Vorfahren", sagt er. "Alles, was du hier siehst. Bis die Großeltern dieser Leutchen kamen und es sich genommen haben. Und jetzt wird's ihnen wieder genommen. Aber nicht von irgendwelchen Soldaten." Er weist mit dem Kinn in Richtung der Texas Midlands Bank, die auf der Main Street gegenüber liegt. "Jetzt machen es die Hurensöhne da drüben."

Sein Partner Marcus brummt nur. Was er am liebsten tut, wenn er nicht halbzermalmte Wörter durch seinen mahlenden Kiefer entkommen lässt, die der Welt seine schlechte Laune übermitteln oder Alberto als ahnungslose Rothaut beleidigen.

Die beiden sitzen da, an der Hauptstraße dieses gottverlassenen Kaffs, und warten darauf, dass die Bank gegenüber überfallen wird. Was naturgemäß etwas dauern kann. Aber es sind wieder Outlaws unterwegs in West Texas, fast wie damals im Wilden Westen, als die Texas Rangers gegründet wurden, die älteste Polizeitruppe Amerikas. Darum geht es in "Hell or High Water", geschrieben vom Texaner Taylor Sheridan, inszeniert vom Schotten David Mackenzie.

Ein Film wie einer dieser großen Westernsongs, die auf dem Soundtrack gelegentlich erklingen, etwa der "Dollar Bill Blues" von Townes van Zandt. Es geht um ewige Armut und wozu sie einen Mann treiben kann, um zerbrochene Träume und den letzten noblen Wesenszug im Herzen eines Gesetzlosen. Aber es geht auch um die Brutalität der Rechtschaffenen und den Geruch der Selbstjustiz, der noch immer über dem Land weht, es geht um die Ehre der Ranger und die fragile Herrschaft des Rechts.

Keine Brüder, aber Wahlverwandte: die Texas Rangers Marcus (Jeff Bridges, vorne) und Alberto (Gil Birmingham). (Foto: Paramount)

Eine Geschichte so alt wie Amerika, umwoben von tausend Mythen, die man nur mit dem richtigen Gitarren-Twang anspielen muss, um sie gleich zum Schwingen zu bringen. Und doch ist alles hier ganz gegenwärtig. Wann immer die Kamera über die endlosen Landstraßen fährt - und was sollte sie in dieser Gegend sonst tun? - stehen bunte Schilder vor dem weiten Himmel, die schnellen Kredit versprechen oder rasche Schuldenerleichterung, nächste Ausfahrt rechts: Home Refinancing, Fast Cash. Dass dahinter die Banken stecken, und dass sie sich in den letzten Jahren oft genug wie Hurensöhne benommen haben, wie in tausend Analysen der Finanzkrise bewiesen wurde, da hat der Ranger Alberto absolut recht.

Und damit ist er den Männern, die er jagt, schon näher, als er ahnt. Zwei Brüder sind es. Mit ihrem ersten, noch unbeholfenen Banküberfall werden sie eingeführt, aber bald nimmt der Film ihnen die Strumpfmasken vom Gesicht und schaut beiläufig in ihre Seelen. Toby ist der Smarte, aber auch der Weiche der beiden, überzeugend verkörpert von Chris Pine, ganz ohne die Glätte seiner Rolle als neuer Captain Kirk in "Star Trek". Er hat den Plan, die Farm der Familie zu retten, die sonst Ende der Woche an die Texas Midlands Bank fallen wird. Zeit wird's, denn auf dem Grundstück ist Öl gefunden worden, überall im Umkreis pumpen schon die Fördertürme - und ganz wie vor sechzig Jahren in "Giganten" verheißen sie ein Ende der Armut. Toby will alles seinen Söhnen überschreiben, die er kaum sehen darf. Es ist das Einzige, was er noch für sie tun kann, als Mann und Vater hat er längst und unwiederbringlich versagt.

Jeff Bridges ist wieder mal großartig, aber seine Kollegen können problemlos mithalten

Was die Welt noch mehr über seinen Bruder Tanner sagen würde, der nach vielen Jahren im Gefängnis gerade mal in Freiheit ist. Er ist der Wilde, der den Schlägen des Vaters trotzen musste um jeden Preis, bis zum bitteren Ende, zum Mord. Ben Foster, viel zu wenig berühmt für seine Kunst, lässt in einem Moment Tanners ungeheure Lebenslust aufblitzen, im nächsten seine unkorrigierbare, soziopathische Gefährlichkeit, im übernächsten die Liebe für den Bruder, gut getarnt, aber unbezwingbar, zu jedem Opfer bereit. Man sieht die beiden auf ihrer verfallenden Farm sitzen und auf ihre mageren Rinder starren, und natürlich ist man sofort auf ihrer Seite.

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Man ist aber auch auf der Seite des Ranger-Paars, das sie jagt. Im Grunde sind es ebenfalls Brüder, aber wahlverwandte. Gil Birmingham ist Alberto, er stammt wirklich aus dem Volk der Comanche. Und es zeugt wieder einmal von den Ressourcen des amerikanischen Kinos, dass ein Mann, den man in der "Twilight"-Filmserie noch locker übersehen konnte, hier plötzlich dem großen Jeff Bridges mehr als nur Paroli bietet. Denn Bridges spielt Marcus, den übellaunigen Wortezermalmer, nur noch Tage von seiner unfreiwilligen Pensionierung entfernt - und er ist wieder einmal großartig. Er nuschelt seinem Partner die übelsten Dinge an den Kopf, der gibt unbeeindruckt zurück, und sie sagen doch immer nur "Ich liebe dich". Aber auch sie werden gezwungen werden, noch ganz andere Seiten von sich zu zeigen.

Denn ein Spiel ist das alles nicht, da sind der Autor Sheridan ("Sicario"), der selbst aus Smalltown-Texas kommt, und der Regisseur Mackenzie ("Starred Up"), der bisher vor allem die Härten der britischen Gesellschaft erkundet hat, sich völlig einig. Sheridan trägt den Spirit der Prärie im Herzen, und er weiß: In jedem echten Westernsong steckt auch eine Tragödie.

Hell or High Water , USA 2016 - Regie: David Mackenzie. Buch: Taylor Sheridan. Kamera: Giles Nuttgens. Mit Jeff Brigdes, Chris Pine, Ben Foster, Gil Birmingham. Paramount, 102 Minuten.

© SZ vom 12.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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