Nachtkritik: "Wer wird Millionär?":"Ich nehme Antwort B"

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Eine lauwarme Kartoffel, eine Ex-Pornodarstellerin und Oli Pocher, der so nebenbei die Eine-Million-Euro-Frage richtig beantwortete. Das gab es noch nie in Jauchs Prominentenspecial.

Sarah Ehrmann

Dieser Sieg kam auf leisen, satirischen Sohlen: "Ich bin gut drauf", verkündete Oli Pocher zwar schon zu Anfang des "Wer wird Millionär?"-Prominentenspecials, hielt sich dann aber bis zum Höhepunkt der Sendung wissensmäßig doch eher bedeckt. Dass gerade er die wichtigste Frage knacken würde, kam völlig unerwartet.

Grund zum Jubeln: Oli Pocher gewinnt eine Million bei Jauch. (Foto: Foto: RTL / Stefan Gregorowius)

Ebenso wie Reinhold Beckmann schaffte er es anfangs nämlich nicht einmal, die Eingangsfragen zu beantworten. Doch da der Gewinn der Spezialausgabe der Quizshow für wohltätige Zwecke bestimmt ist, drückte der gestrenge Günther Jauch auch mal ein Auge zu - und Pocher rutschte als letzter - ganz ohne Frage - auf den ersehnten Drehstuhl vor dem Monitor nach.

Und dann geschah etwas, was an die guten alten Zeiten des Privatfernsehens erinnerte: Jauch und Pocher präsentierten sich als Kenner und Könner der komödiantisch-bissigen Kommunikation, spielten sich gekonnt Ping-Pong-Bälle der Sprachbeherrschung und der gepflegten Unterhaltung zu.

Bei der Millionenfrage hatte Pocher sprichwörtlich noch ein Ass im Ärmel - den Publikumsjoker. Doch nur 32 der 200 Zuschauer wagten es, für diese Frage abzustimmen: "Das Nagel-Schreckenberg-Modell liefert eine Erklärung für die Entstehung von ...?"

"Er hat sich was getraut"

Leere Gesichter im Publikum. A: Sandwüsten, B: Verkehrsstaus, C: Grippewellen, D: Börsencrashs? 70 Prozent tippten auf Antwort B. "Meine erste Intuition war Verkehrsstaus", bestätigte auch Pocher. "Ich zocke und nehme Antwort B." Und bot an, 100.000 Euro aus eigener Tasche zu spenden, sollte er sich verschätzen.

Doch so weit kam es nicht. Im Glitzerregen des Feuerwerks leuchtete die Antwort grün auf - und Pocher hatte es damit als erster Promi geschafft, die wertvolle Frage zu lösen.

"Er hatte einen Lauf, hat sich was getraut, war nicht ängstlich und hat seine Joker geschickt eingesetzt", sagte Günther Jauch, der in den bisherigen Prominentenspecials die Millionenfrage insgesamt 17 Mal gestellt hatte. Pocher teilt den Gewinn zwischen der "Per Mertesacker Stiftung" sowie der "McDonalds Kinderhilfe" auf.

Zuvor hatte ARD-Programmdirektor Günter Struve seinem Schützling Pocher aus der Bredouille geholfen. "Den haben Sie als Telefonjoker genommen? Das ist ja schleimig", urteilte Jauch. Doch der 68-Jährige beantwortete für "seinen Pocher" die Frage nach dem Perpendikel, an dem der Opa herumfummelt, Cliffhanger-like in den letzten zwei Sekunden des Telefonats. Es handelt sich um eine Standuhr.

Ansonsten war die dreistündige RTL-Show regelmäßig unterbrochen durch kleine Stänkereien Jauchs gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Allgemeinen und die ARD im Speziellen. Nagt sein Ablehnen der Nachfolge Sabine Christiansens bei der ARD vielleicht doch mehr an ihm, als der Moderator sich eingestehen will?

Speziell ausgesuchte Fragen

Auffallend aggressiv behandelte er Kandidatin Andrea Ypsilanti, der er die Bedeutung ihres Nachnamens mit "die Herrscherin" übersetzte. Angespannt und zurückhaltend saß die SPD-Politikerin auf dem "heißen Stuhl" und Jauch vergnügte sich allein mit Wahlkampf-Zoten und Sticheleien. Erst nachdem die Hessen-Abgeordnete am "Flotzmaul der Kuh" scheiterte und mit 64.000 Euro das Feld räumte, wurde sie wieder entspannter.

Alles spricht dafür, dass die Fragen speziell auf die Kandidaten zugeschnitten werden. Andrea Ypsilanti musste sich mit schwierigen Wissenschaftsfragen quälen. "Für Oliver Pocher haben wir andere Fragen ausgesucht", verriet Jauch ungeschickterweise. Hauptsächlich Wortspiel- und Quizfragen gab es für den Fernseh-Moderatoren.

Mit Michaela Schaffrath alias Gina Wild sollte offensichtlich ein wenig Trash in die Abendsendung gebracht werden. Doch daraus wurde nichts. Die charmante Blondine, die kürzlich noch im RTL-Dschungelcamp feststeckte, gab sich wohlerzogen und äußerst angenehm. Parlierte mit Jauch, flachste mit Pocher - und beantwortete die Eingangsfrage als Schnellste und Einzige in nur 3,4 Sekunden.

"Jetzt ist zweimal Eltern- und einmal Kinder-Schnabulix" ermahnte Jauch Beckmann, Ypsilanti und Pocher zum Schweigen. Dabei hätten sie zu gerne im Team die Quizfragen gelöst. Da Gina Wild vor ihrer einschlägigen Karriere zehn Jahre als Krankenschwester arbeitete, geht die Gewinnsumme von 125.000 Euro zur Hälfte an ihre ehemalige Arbeitsstätte, das "Clementine Kinderhospital", und "Dat Kölsche Hätz".

Die lauwarme Kartoffel des Abends war Reinhold Beckmann. Stumm saß er im Drehstuhl, beantwortete dann lustlos einige Fragen und zog sich baldmöglichst zurück. Da konnte Jauch den ARD-Moderatoren treiben und triezen soviel er wollte. Immerhin: 64.000 Euro für den "Jamliner", einen Musik-Bus für Jugendliche in Hamburg.

Liebe ARD, vielleicht hättet ihr euch doch noch einmal überlegen sollen, wie ihr Günther Jauch ins Erste Deutsche Fernsehen hättet ziehen können. Dann wäre Jauch & Pocher doch auch ein angemessener Ersatz für eine eventuelle Sommerpause von Schmidt & Pocher. Also nur mal so für den Fall. Dieser Abend machte es vor.

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