Nachruf:Zum Tod von Eric Bentley

Lesezeit: 1 min

Der Theaterkritiker und Weggefährte Bertolt Brechts ist mit 103 Jahren in New York gestorben.

Von Willi Winkler

Eines Tages erschien der Schauspieler Charles Laughton bei dem Theaterkritiker Eric Bentley. Eine Frage quälte ihn, der Fachmann sollte helfen. "Was hat es eigentlich mit dieser Brecht'schen Methode auf sich? Man sagt mir, ich spiele brechtisch. Was spiele ich da?" Bentley wusste es, riet dem Darsteller des Galilei aber, einfach nach der Laughton-Methode weiterzumachen.

Brecht konnte sich keinen besseren Interpreten für den V-Effekt wünschen als den jungen Dozenten, den er 1942 im Exil in Hollywood kennengelernt hatte. Obwohl selber alles andere als ein Kommunist, wurde Bentley als Übersetzer und Dramaturg sein treuer Agent in den USA, die Brecht 1947 verlassen hatte, als gegen ihn wegen angeblicher kommunistischer Umtriebe ermittelt wurde. Als Kritiker brachte der in England geborene Bentley die amerikanischen Dramatiker von Arthur Miller bis Tennessee Williams gegen sich auf, weil er sie für flach und im Vergleich mit den Europäern unbedeutend erklärte. Brecht holte ihn an sein Theater und ließ ihn 1950 assistieren, als er an den Münchner Kammerspielen die "Mutter Courage" mit Therese Giehse inszenierte. Sein "Kleines Organon für das Theater" entstand in Auseinandersetzung mit Bentleys Studie "The Playwright As Thinker" (Der denkende Stückeschreiber, 1946) - der Kritiker half ihm, seinen Stücken nachträglich eine Theorie zu verschaffen.

Erst nach zwei Ehen machte Bentley bekannt, dass er homosexuell sei und gab deshalb 1969 seine Stelle an der Columbia University auf. Bis dahin war er gelegentlich als Interpret von Brecht- und Biermann-Songs aufgetreten und hatte ein "Brecht Eisler Songbook" herausgebracht, jetzt begann er selber Stücke zu schreiben. In einem stellte er Brechts Auftritt vor dem Senatsausschuss nach, in einem weiteren den Prozess, der Oscar Wilde ins Gefängnis brachte. Brecht blieb sein Lebensthema: "Er war der faszinierendste Mann, den ich je getroffen hatte. Es gab Zeiten, in denen ich ihn hasste, doch nie eine Zeit, in der ich ihn nicht liebte." Eric Bentley hat seinen Helden um 64 Jahre überlebt. Das vermutlich letzte Mitglied des Brecht-Ensembles ist vorgestern im Alter von 103 Jahren in New York gestorben.

© SZ vom 07.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: