Eigentlich verfolgte Oswald Wiener Zeit seines Lebens ein eindeutiges Ziel: "erste diskutable skizzen einer vollständigen lösung aller welt-probleme" zu liefern. So steht es in der Beschreibung seines Bio-Adapters, eines "Glücks-Anzugs", mit dem er einen perfekten Ausgleich zwischen dem "ungenügenden kosmos und den unbefriedigten menschen" schaffen wollte. Die detaillierte Beschreibung dieser komplizierten Apparatur, die den "miserabel ausgerüsteten schleimklumpen", sprich: den Mensch, in einen vollautomatisierten "servo-narzissten" verwandeln konnte, entnahmen die Heilsucher des prä-digitalen Zeitalters 1960 Wieners Buch "Die Verbesserung von Mitteleuropa. Roman", einem Literaturexperiment für alle Fälle und Lösungen.
Wiener, ein Anstifter zum intellektuellen Anderssein
Als er diese Anleitung zum unorthodoxen Nachdenken veröffentlichte, hatte Oswald Wiener bereits seine ersten Skandalzeiten hinter sich. Als Mitglied der berühmten "Wiener Gruppe" (benannt nach der Stadt, nicht nach Oswald), begründete er seinen Ruf, an allem Rabiaten beteiligt zu sein, was die österreichische Hauptstadt nach dem Krieg künstlerisch zu bieten hatte - und was ihren Ruf als Wiege der ästhetischen Extremisten am Leben erhielt. Zusammen mit Friedrich Achleitner, Konrad Bayer und Gerhard Rühm produzierte er sich als Varieté-Zauberer einer neo-dadaistischen Sprachwut mit viel Präpotenz und Jazz. Später kooperierte er mit den Sex-, Schleim- und Körperprovokateuren Otto Muehl und Günter Brus, oder zettelte 1968 "Kunst und Revolution" in der Studentenbewegung an, was nach einer berühmten "Uni-Ferkelei" zu polizeilicher Verfolgung führte, der er sich durch Republikflucht entzog.
Auch als legendärer Kneipenwirt in der Mauerstadt Berlin setzte er seine unruhige Karriere als Anstifter zum intellektuellen Anderssein fort - und studierte mit 50 Jahren noch Mathematik. Überhaupt wird man kaum einen manischen Menschen des 20. Jahrhunderts finden, der seine Lebenszeit so vielfältig ausnützte wie der Wiener Wiener. Er machte sich bekannt als schräger Prophet der Künstlichen Intelligenz, schrieb 1990 als Evo Präkogler einen weiteren "Schmähroman", Titel: "Nicht schon wieder...! Eine auf einer Floppy gefundene Datei" . Er gab als Kunstprofessor in Düsseldorf von 1992 und 2004 sein mit Humor vernetztes Breitbandwissen an die Jungen weiter. Und er produzierte riesige Materialkonvolute, die von Schriften über die Erkenntnistheorie zu LSD-Versuchen, Kochrezepten und handgeschrieben Speisekarten Weltwissen stapeln.
Aber bitte immer mit grantigem Sarkasmus gegen das "gesund-heroische ideal eines den kosmos regierenden homo sapiens", das er pointiert der gerechten Strafe der Lächerlichkeit zuführte. Jetzt ist der große Universal-Spötter mit Gelehrtenstatus im Alter von 86 Jahren in Wien an einer Lungenentzündung gestorben. Mit dem Bio-Adapter wäre das vermutlich nicht passiert. Aber wer will schon als "servo-narziss" ewig leben? Oswald Wiener sicher nicht.