Nachruf:Herz ist Trumpf

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Der Grafikdesigner Milton Glaser hat New York liebenswert und die Welt lesenswert gemacht.

Von Gerhard Matzig

Den Anspruch der Kunst lehnte er für sein gestalterisches Tun ab. Er sprach lieber von Transpiration als von Inspiration, und das "Werk" war für ihn nicht allein das Ergebnis von Genie und Eingebung, sondern vor allem auch das Produkt von Neugier, Wissen, Planung, Handwerk und harter Arbeit. Als der Grafikdesigner Milton Glaser, Schöpfer des aus dem Nichts weltbekannt gewordenen "I love NY"-Logos, bei dem das Lieben nicht als Wort, sondern als Herz dargestellt wird, ein Buch über seine Arbeit herausbrachte, gab er ihm den bezeichnenden Titel: "Art is Work".

Wer es liest, es gehört bis heute zu den erhellendsten Standardwerken über den Designbegriff als die vielleicht denkwürdigste Vokabel der angewandten Kunst, merkt aber dennoch, dass Milton Glaser, der große Arbeiter, auch immer ein großer Künstler war. Das zeichnet sein Werk aus: Das Plan- und das Unplanbare, das Sag- und das Unsagbare, das Sicht- und das Unsichtbare gehen einen Pakt ein. Um gemeinsam etwas Ganzes zu schaffen. Wer das New-York-Logo kennt, und wer kennt es nicht von T-Shirts, Kaffeetassen, Kugelschreibern oder (sehnsuchtsvoll in den Provinzen der Welt herumirrenden) Auto-Aufklebern, der begreift, dass diese grandiose Reduzierung - drei Buchstaben, ein Zeichen, Schwarz auf Weiß und einmal Rot - in Wahrheit nichts Einfaches und Simples, sondern etwas Komplexes und Weites darstellt. Das ist ja das Geniale daran. Das Logo ist quintessenzieller Natur: Man kann nichts, gar nichts hinzufügen und nichts, gar nichts weglassen - ohne es zu übertreiben oder zu banalisieren. Es ist eine Chiffre in Vollendung. Plakativ vereinfacht, auf den Punkt gebracht, und doch in ein ganzes Universum an Mehrdeutigkeit, Nebenwegen und Ahnungen ausgreifend.

Es ist eine kleine Denkwürdigkeit, dass der Sohn ungarisch-jüdischer Einwohner, der sich schon als junger Mensch der Welt zeichnend näherte und den man sich später als idealen New Yorker vorstellen kann, kosmopolitisch und weltneugierig, just am 26. Juni gestorben ist - exakt am Tag des 91. Geburtstages. Als hätte er sein Leben planvoll runden und doch nicht runden wollen, während es von einem unberechenbaren Schlaganfall beendet wurde. Da ist es wieder: Das Moment, da der Zufall mehr zu sein scheint als nur dies. Ein Trost?

In den meisten Arbeiten von Milton Glaser ist etwas Schillerndes verborgen: Klarheit und Rätsel. Das gilt auch für sein Verständnis einer Moderne, die unsere Zeit überstrahlt, die aber zugleich davor zu bewahren ist, in Formelhaftigkeit zu erstarren. Milton Glaser war einer der wichtigsten Erneuerer der Moderne. Sein Werk wird auch deshalb überdauern.

Das legendäre New-York-Logo gehört dazu, das einem Städtemarketing vorgriff, das erst danach ersonnen wurde - und das eine Stadt schon in den Siebzigerjahren zum Sehnsuchtsort der Liebe machte, wobei New York genau damals an Kriminalität und Korruption litt. Das Logo war ein Coup. Zur Ironie gehört, dass Milton Glaser dafür kaum ein angemessenes Honorar erhielt. Eine der berühmtesten Visualisierungen der Welt, die angeblich jährlich 30 Millionen Dollar an Lizenzgebühren einträgt, soll während einer Taxifahrt auf einem Stück Papier entstanden sein. Das Honorar dafür: einige hundert Dollar. Im Gespräch sagte Milton Glaser aber schon vor Jahren, die Legende sei nicht ganz richtig. In Wahrheit habe er lange am Design gearbeitet und immer wieder neue Versionen ersonnen, bis er etwas hatte, was sich endlich "richtig" anfühlte. Kunst ist Arbeit.

Milton Glaser (1929-2020). (Foto: Christina Horsten/dpa)

Das gilt auch für das berühmte Bob-Dylan-Poster, das den späteren Literaturnobelpreisträger noch als Klangwunder zwischen Mozart und Pop zeigte - inklusive psychedelischer Haarskulptur im Farbrausch. Und es gilt auch für das legendäre Werbemotiv einer Olivetti-Schreibmaschine ("Valentine"), für das ein Gemälde von Piero di Cosimo aus dem 15. Jahrhundert als Anregung diente. Milton Glaser, hochgebildet, ließ sich vom Jugendstil genauso wie von chinesischer Kalligrafie oder von Cartoons der Dreißigerjahre inspirieren. Zwischen Gemälde und Poster, zwischen E und U machte er keinen Unterschied: "Aber im Zweifel ist das gute Poster besser als das schlechte Gemälde." Die New York Times zitiert ihn so: "Alle Dinge, für die die Lehre der orthodoxen Moderne Verachtung zu haben schien - Ornamentik, narrative Illustration, visuelle Ambiguität - haben uns angezogen."

Wobei Milton Glaser nie den Anschluss verloren hat. Er entwarf vor einigen Jahren ein Plakat für die Serie "Mad Men" und in den späten Achtzigerjahren ein Anti-Aids-Motiv für die Weltgesundheitsorganisation. Hier macht sich wieder ein Herz bemerkbar. Es wirkt wie im Kampf mit einem Totenkopf. Man hat aber das sichere Gefühl: Es wird siegen, denn Herz ist Trumpf.

Milton Glaser, der Zeitschriften und Zeitungen gestaltete, der Bücher schrieb und illustrierte, der Schriften, Möbel und Architektur entwarf und dessen Werk im Museum of Modern Art zu sehen ist, hat die Welt farbenfroher und leichter gemacht. Leichter zu lesen, leichter zu verstehen und vielleicht ja auch tatsächlich leichter zu lieben.

© SZ vom 29.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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