Nachruf:Hans Joachim Kreutzer ist tot

Lesezeit: 1 min

Kritiker, Philologe, Kleist-Experte: Hans Joachim Kreutzer suchte auf vielen Wegen den Kontakt zur Öffentlichkeit.

Von Jens Bisky

Manchmal rief er an. "Kreutzer", meldete er sich knapp und fest und kam ohne Umschweife zur Sache: "Da ist Ihnen ein Klops passiert." Er hatte meist recht, ein Name war falsch geschrieben, eine Zahl verdreht, ein Argument im Andeutungsnebel verschwunden. Philologe zu sein, hieß für ihn nicht, irgendeinen Job auszuüben, sondern war mit der Pflicht zur Genauigkeit und dem Widerwillen gegen Schluderei wie Drauflosplaudern verbunden.

Deutsche und Lateinische Philologie sowie Musikwissenschaft hat der 1935 in Essen geborene Hans Joachim Kreutzer studiert. 1968 veröffentlichte er seine Studie "Die dichterische Entwicklung Heinrichs von Kleist". Das war Grundlagenforschung. Kreutzer datierte Briefe, rekonstruierte die Entstehungsgeschichte der einzelnen Werke, untersuchte Bildfelder wie die Strommetaphern in den Briefen. Kleist-Bücher gibt es wie Sand im Staube Brandenburgs, doch Hans Joachim Kreutzers Untersuchungen sind auch nach Jahrzehnten wechselnder Deutungsmoden nicht überholt. Eine von ihm mit Klaus Kanzog geplante historisch-kritische Kleist-Ausgabe kam leider nicht über Vorarbeiten hinaus.

Seit 1977 lehrte er an der Universität Regensburg. Seine Schüler erzählen begeistert von Seminaren und Klavierspiel in seinem Haus, von dem sie sagen, es sei um den Flügel herum gebaut worden. Dem "Zusammenspiel der Künste" Literatur und Musik, von der er ebenso viel verstand wie von der Dichtung, widmete er viele Aufsätze und Bücher und praktizierte damit eine Öffnung der Literaturwissenschaft, ohne deren philologische Grundlage aufzugeben. Auf eine heute wohl altmodisch wirkende Art verstand er sich als akademischer Lehrer, nahm die Betreuung der Studenten und Doktoranden so ernst wie eigene Forschungen.

Wichtig war ihm der Kontakt zur Öffentlichkeit, als Kritiker - auch in der SZ - und als Präsident der Kleist-Gesellschaft. Ihm gelang es, den Kleist-Preis, den Brecht und Anna Seghers erhalten hatten, der 1932 zum letzten Mal vergeben wurde, 1985 wiederzubeleben. Dass er heute zu den wichtigsten Literaturpreisen im Lande zählt, ist vor allem Kreutzers Verdienst.

Wer seine Kunst der Klarheit und Präzision kennenlernen will, greife zu dem 2011 im Verlag C.H. Beck erschienenen Band "Heinrich von Kleist", der in Details überrascht, gründlich gelehrt ist und doch für Literaturliebhaber geschrieben. 2014 veröffentlichte er exemplarische Analysen über Oper, Roman, Oratorium und Lied: "Das zweite Leben der Künste".

Wie erst jetzt bekannt wurde, ist der große Philologe Hans Joachim Kreutzer am 19. Juli im Alter von 83 Jahren gestorben.

© SZ vom 01.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: