Nachruf:Francine du Plessix Gray ist gestorben

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1930 geboren, war die Schriftstellerin vermutlich die letzte Überlebende einer kleinen europäischen Kulturschicht, die an der Ostküste der USA eine Art glorreiches Exilleben führen konnte.

Von Willi Winkler

Die Familie kann ein Glück sein und das größte Unglück. Die Mutter von Francine du Plessix stellte sich in der russischen Revolution vor die Soldaten der Roten Armee, trug Gedichte von Alexander Puschkin und Michail Lermontow vor und konnte mit dem Brot, das sie als Honorar erhielt, ihre Familie vor dem Verhungern bewahren. In Paris wurde sie die letzte Geliebte Wladimir Majakowskis, heiratete dann einen Diplomaten, der 1940 im Flugzeug über Gibraltar abgeschossen wurde, als er sich der Résistance anschließen wollte. Dieser Vater war ein Tyrann gewesen, er ließ die Tochter zu Hause unterrichten und flößte ihr die Angst vor dem eigenen Schreiben ein. Dass er tot war, erfuhr Francine erst nach einem Jahr, aber von der Gouvernante; wofür hat man schließlich Dienstboten?

Die Mutter war schon beim nächsten Mann, ging mit ihm nach Amerika und brachte es als Designerin zu einigem Ruhm. Der Stiefvater regierte bald über das Verlagshaus Condé Nast und war nebenbei ein bekannter Künstler. Es war das reine Familienglück, was sonst. Das Kind, geboren im September 1930, störte beim sozialen Aufstieg und wurde deshalb weggeschickt und selbstverständlich auf die besten Schulen. Francine beschäftigte sich mit dem Kirchenlehrer Thomas von Aquin und vergrub sich ins tiefste Mittelalter. Nach der Schule arbeitete sie bei der Nachrichtenagentur UPI, ging dann zurück nach Paris, berichtete über Mode, über Kunst, über die Gesellschaft, die sich so gern wiederfand in Vogue und Vanity Fair. Ihren ersten literarischen Text hatte sie noch am Barnard College geschrieben, er erschien erst 1967 im New Yorker und 1975 als Kapitel ihres ersten Romans "Lovers and Tyrants" (Liebende und Tyrannen); so lange wirkte das väterliche Verbot. Sie heiratete einen Maler und schrieb als gute Journalistin über alles: Über den Prozess gegen Klaus Barbie und dann wieder Kunstkritiken, Monografien über den Marquis de Sade und über Louise Colet, die Muse Flauberts, und natürlich über "Majakowskis letzte Liebe" (bei Berenberg 2008 erschienen).

In allen ihren Arbeiten schrieb sie verdeckt über das verängstige Kind, das sie war, am deutlichsten in "Them" ("Die da", 2005), dem Buch über ihre Familie, also über die schlechtesten Eltern der Welt. Von allen wurden sie bewundert und waren doch nur gefühlskalt, statusbesessen, typische Magazin-New-Yorker.

Francine du Plessix Gray war vermutlich die letzte Überlebende einer winzigkleinen europäischen Kulturschicht, die an der Ostküste der USA eine Art glorreiches Exilleben führen konnte, aber ein Unglück war es doch. Am vergangenen Sonntag ist sie im Alter von 88 Jahren in New York gestorben.

© SZ vom 17.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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