Nachruf:Ein Aufklärer

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Norbert Kückelmann, Jahrgang 1930, arbeitete als Rechtsanwalt und Kritiker. 1965 gründete er mit Alexander Kluge und Hans Rolf Strobel das Kuratorium Junger Deutscher Film. 1973 erhielt er den Silbernen Bär bei der Berlinale. (Foto: dpa)

Der Anwalt und Filmemacher Norbert Kückelmann ist tot. Er hatte 1973 den Silbernen Bären der Berlinale gewonnen.

Von Willi Winkler

Ein Bürger, so unauffällig wie unbescholten, wird zum Opfer der Behördenwillkür. Ausgerechnet die Organe der Rechtspflege sind es, die ihm von einem Tag auf den anderen jedes Recht absprechen, ihn entmündigen und zum Verbrecher machen. Das ist nicht Kafka, auch nicht der Michael Kohlhaas, sondern die "Mehr Demokratie wagen"-Bundesrepublik der frühen Siebziger. Der Film "Die Sachverständigen" aus dem Jahr 1973 führt mit einer furchtbar bezwingenden Logik vor, wie Gewalt auch entstehen und wohin sie führen kann. Walter Sedlmayr spielte damals mit seiner abgrundtiefen Gemütlichkeit den Richter; das konnte nur böse enden.

Der Rechtsanwalt Norbert Kückelmann, 1965 mit Alexander Kluge und Hans Rolf Strobel Gründer des Kuratoriums Junger deutscher Film, hatte das Drehbuch unter Pseudonym eingereicht. Er war der Bruder der in München hochverehrten Schauspielerin Gertrud Kückelmann und wurde dann der Autor, Regisseur und Produzent seines Films. Er konnte deshalb die damals brandaktuelle Verbindung zwischen dem Mord an dem Studenten Benno Ohnesorg in Berlin und der Polizeigewalt zum Beispiel in Frankfurt zeigen, wo der Staat die Mietervertreibung im Westend mit aller Willkür beaufsichtigte. Die Botschaft lautete: Es kann jeden treffen.

Der Film wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem silbernen Bären der Berlinale. Kückelmann blieb jedoch Anwalt, drehte aber weiter Filme, häufig nach einer sogenannten wahren Begebenheit. "Morgen in Alabama" aus dem Jahr 1984 ist inspiriert vom rechtsradikalen Hintergrund des Oktoberfestattentats. Es gab Bundesfilmpreise, doch musste Kückelmann wie alle Themen-Filmer vom Kino ins Fernsehen. Ende der Achtzigerjahre erregte der Fall eines Memminger Arztes Aufsehen, der Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen hatte und nach einem Steuervergehen vor Gericht gestellt wurde. Kückelmann inszenierte die Ereignisse in dem Fernsehfilm "Abgetrieben" (1992) streng nach Aktenlage. Obwohl sich zeigte, dass auch ein beisitzender Richter seine Freundin zu einer Abtreibung begleitet hatte, erhielt der Angeklagte von diesem Gericht eine mehrjährige Freiheitsstrafe sowie Berufsverbot. Das war die alte Bundesrepublik, die unter Helmut Kohl den "aufrechten Gang" üben wollte.

Der Aufklärer Norbert Kückelmann ist, wie erst jetzt bekannt wurde, bereits am 31. August im Alter von 87 Jahren gestorben.

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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