Nachruf:Die Gondeln tragen Trauer

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Nicolas Roeg (links) und David Bowie bei den Dreharbeiten zu „Der Mann, der vom Himmel fiel“. (Foto: Mary Evans/Interfoto)

Er besetzte Hauptrollen mit David Bowie und Mick Jagger, doch seine Leistung war die verstörende Erzählung - der Regisseur Nicolas Roeg ist gestorben.

Von Fritz Göttler

Ein kleiner schwarzer Käfer in der Wüste steht einsam am Anfang seines frühen Films "Walkabout", ein VW-Käfer. Er hat schon die kleinen Szenen in der australischen Großstadt davor zusammengehalten, tauchte immer wieder an den Seiten und Ecken auf, zwischen gläsernen Fassaden, Balkonen, einem Swimmingpool. Dann fährt der Vater in die Wüste und nimmt seine zwei Kinder mit, den kleinen Jungen und die etwa fünfzehnjährige Tochter, beide in ihren schwarzen Schuljacketts. Der Vater raschelt mit seinen geschäftlichen Papieren, die Tochter baut ein kleines Picknick im Sand auf, der Junge rennt herum und schießt mit einer Wasserpistole. Dann zieht auch der Vater eine Pistole hervor und schießt auf die beiden Kinder. Er will Schluss machen und die Kinder nicht allein zurücklassen in der Welt. Aber es reicht nur zum Selbstmord. Der Käfer geht in Flammen auf, und die Kinder bleiben verlassen in der Wüste zurück. Ein Ureinwohner hilft ihnen beim Überleben auf dem Weg zurück, er wurde von seinem Stamm für einen Initiationsritus in die Wüste geschickt, den titelgebenden Walkabout. Jenny Agutter spielt die Tochter, und es ist großartig, wie sie im Verlauf dieses Films zur sinnlichen jungen Frau sich entwickelt. Es war dieser Film, der dem Regisseur Nicolas Roeg 1971 die Türen bei den internationalen Produzenten geöffnet hat.

Von "Walkabout" ging eine Verstörung aus, die ganz typisch ist für das Werk von Roeg. Mit seiner kühnen Montage hat er Raum und Zeit aus den Fugen gebracht, alle narrativen Zusammenhänge zerrissen, die Wirklichkeit fast ins Unerträgliche komprimiert. Sein erster Film "Performance", den er vor "Walkabout" gemacht hatte, gemeinsam mit Donald Cammell, war deshalb für zwei Jahre vom Produzenten ins Regal gesteckt worden. Man war verärgert, hatte erwartet, dass Roeg, der viele Jahre als Kameramann gearbeitet hatte, eigentlich auch das Regiehandwerk verstehen müsste. Mein Agent, erinnert sich Roeg, befürchtete, man könnte mich wegen Unprofessionalität verklagen.

Als "Performance" es dann doch in die Kinos schaffte, entstand ein mysteriöser Kult um ihn. Mick Jagger stand im Mittelpunkt des Films, und ein labyrinthisches Haus, in dem alle Ordnungen und Identitäten sich zersetzten. Wenige Jahre später platzierte Roeg erneut einen Popstar mitten in einen labyrinthischen Film, David Bowie, als "Der Mann, der vom Himmel fiel", ein Alien, der auf der Erde dank seiner übermenschlichen Fähigkeiten erst zum Erfolg kommt, dann aber doch gehörig absteigt. The American way of life.

In seinen Augen hatten Bücher das Erzählen über Jahrhunderte viel zu sehr eingeschränkt.

Den British way zeigt der Film "Wenn die Gondeln Trauer tragen", 1973, ein Familienleben, das irreparabel zerbricht, als die kleine Tochter beim Spielen ertrinkt. Der Vater, Donald Sutherland, ist Restaurator und findet sein Schicksal in den düsteren Gassen von Venedig. Die Frau ist Julie Christie, mit der Roeg schon als Kameramann bei "Fahrenheit 451" von François Truffaut und "Far from the Madding Crowd" von John Schlesinger zusammengearbeitet hatte, und am Set von David Leans "Doktor Schiwago".

Eine weitere Frau, die er einer filmischen Langzeitbeobachtung unterzog, war Theresa Russell, mit der er verheiratet war und die er in immer neue intensive, quälende Situationen versetzte. In "Bad Timing" ist sie die Migrantin Milena in Wien, der Stadt der Psychoanalyse und von Klimt und Schiele, die einem Analytiker zum Opfer fällt und dem eigenen Drang zur Selbstzerstörung. "Anatomie einer Leidenschaft" hieß der Film bei uns. In "Insignificance" durfte Theresa Russell dann 1985 Marilyn verkörpern und auf anschaulichste Weise die Relativitätstheorie erklären.

Da war die Zeit für die vertrackten Raum- und Zeit-Rätsel des Nicolas Roeg bereits vorüber, den sagenhaften Erfolg seiner Filme in den Siebzigern sollte es nicht wieder geben. Einmal wenigstens hat er sich an dem neuen Blockbusterkino versucht, hat eine Episode der TV-Serie um den jungen Indiana Jones gedreht.

Die Gutenberg-Galaxis habe das Erzählen zerstört, die Dominanz der Bücher, hat Roeg geklagt. Er wollte visuell erzählen. "Das Buch hat eine Geschichte eingeschränkt, eingebunden. Davor, in der mündlichen Tradition, konnten Geschichten für immer fortlaufen. Eine der Grundlagen des Lebens ist, dass es eine große Geschichte gibt, an der alle Geschichten teilhaben."

Freitagnacht ist der große Kinoerzähler Nicolas Roeg im Alter von neunzig Jahren gestorben.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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