Nachruf:Der Filmemacher Jiří Menzel ist tot

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Subversiv, schalkhaft, grotesk, inkorrekt: Grenzen schätzte er als Anregung für die Kreativität und versuchte sie doch immer wieder zu überwinden. Zum Tod des tschechischen Regisseurs und Schauspielers Jiří Menzel.

Von Fritz Göttler

Die Macht der Stationsvorsteher wurde uns 1966 anschaulich vorgeführt im Film "Liebe nach Fahrplan", was ihr Pfiff alles in Bewegung bringen kann - oder zum Stillstand. Der Mann setzt die Pfeife an, ein Soldat und ein Mädchen nähern ihre Lippen an, der Pfiff würgt den Kuss ab. Eine kleine Bahnstation in Böhmen, zur Zeit der Nazi-Besetzung. Auch hier gibt es Widerstand und Explosionen, die provinzielle Idylle ist ganz und gar subversiv. "Liebe nach Fahrplan" war einer der großen internationalen Erfolge des kurzen Prager Frühlings, wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. 1969 drehte Menzel "Lerchen am Faden", der erhielt dann den Goldenen Bären der Berlinale - allerdings erst im Jahr 1990. Der Film war sofort verboten worden, Menzel erhielt Berufsverbot, wandte sich dem Theater zu, spielte in Filmen der Kollegen. Es war eine verschworene Gemeinschaft von Filmemachern, die den Prager Frühling prägte, Menzel und Miloš Forman, Věra Chytilová und Ivan Passer - viele von ihnen verließen gezwungen das Land, machten in den USA Karriere. Menzel war besonders subversiv und schalkhaft, grotesk und inkorrekt, im Geiste verwandt mit dem Schriftsteller Bohumil Hrabal, von dem er viele Werke auf die Leinwand brachte, unter Hrabals Mitarbeit. Auch Menzels letzter Film war nach Hrabal, "Ich habe den englischen König bedient", 2006, ein Herzensprojekt, eine Karrieregeschichte, vom Würstelverkäufer - auf einem Bahnhof! - zum Oberkellner und Mitarbeiter in einem Lebensborn-Hotel der Nazis.

Kreativität braucht Grenzen, hat Menzel immer bekräftigt. Allem, das wusste er, drückten die Bürokraten ihren Stempel auf, der Stationsvorsteher von "Liebe nach Fahrplan" tut das - der Direktor des Filmstudios Barrandov hätte die Szene am liebsten herausgeschnitten - auf den Hintern einer jungen Frau. Am Samstag ist Jiří Menzel im Alter von 82 Jahren gestorben.

© SZ vom 08.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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