Nachruf:Chicago und Bochum

Der Theologe und Friedensforscher Hans-Eckehard Bahr marschierte mit Martin Luther King. Nun starb er im Alter von 91 Jahren.

Von WILLI WINKLER

Die Befreiung begann direkt unter dem Bild vom Jüngsten Gericht, in der Bank für den Pfarrerssohn, der sich aber, um die Predigt des Vaters zu überstehen, in die Rolf-Torring-Hefte versenkte und sich mit Masso Pongo im Urwald bei den Kopfgeldjägern herumtrieb. "Borneo und Bali in Hinterpommern, das war mein Kinder-Evangelium." Ein Paradies war Jassow im heutigen Polen, bis der Krieg kam mit Volkssturm und Vertreibung. Pfarrer wurde Hans-Eckehard Bahr trotzdem, allerdings erst, nachdem er an der Akademie in Düsseldorf dilettiert und sogar einen Abstecher zur Fremdenlegion nach Algerien unternommen hatte.

In Hamburg habilitierte er sich 1965 mit dem hochaktuellen Thema "Demokratische Öffentlichkeit als Horizont der Verkündigung" (veröffentlicht 1968 unter dem zeitschnittigen Titel "Verkündigung als Information") und hätte an der Ruhruniversität Bochum ohne Weiteres in den vorschriftsmäßigen Ehren als Professor ergrauen und ebenfalls ein langweiliger Prediger werden können. Bahr hatte aber Glück. Bei einer Gastprofessur in Chicago traf er 1966 auf einen modernen Messias, für den Verkündigung mehr als Information war. Bahr war dabei, als Martin Luther King einen kleinen Demonstrationszug von Schwarzen durch ein gutbürgerliches weißes Viertel führte. Die Einwohner, fünfmal so viele, bewarfen die Demonstranten mit Steinen und Bierflaschen, eine Nonne wurde durch einen Eisensplitter schwer verletzt. King hatte keine Angst, sondern marschierte weiter und verkündete: "Wir müssen Hass mit Liebe vergelten." Zwei Jahre später wurde er von einem Rassisten erschossen.

Neben Martin Walser gehörte Bahr zu den wenigen Erwachsenen, die sich über Vietnam und über die Duldung der amerikanischen Kriegsführung empörten, weil doch "kein Deutscher der politisch-moralischen Seite des Problems entgehen" konnte. Beim WDR konnten sie es schon, das war ihnen zu moralisch, und die Sätze wurden ihm 1968 aus der Aufnahme gelöscht. Bahr wurde nicht müde, die, wie er hoffnungsvoll schrieb, "sich emanzipierende Gesellschaft" für einen Frieden ohne Waffen zu begeistern. Folgerichtig gehörte er auch zu den Pastoren, die sich Helmut Schmidts Nato-Doppelbeschluss widersetzten und vom Kanzler abgekanzelt wurden: "Ein Bischof oder Pastor, der Politik machen will, sollte die Soutane ausziehen."

Bahr blieb Friedensforscher und moralischer Prediger bis zuletzt. Dabei war er einer der raren Theologen, die sich auch mit Kunst und Kultur befassten, eine späte Folge bestimmt der Heftchenromane unterm Weltgericht. Doch nur ein unbedingter Friedensmann konnte bei einem Aufenthalt in Baden bei Wien auf diesen Vergleich verfallen: "Was für Deutschland der Leopard-Panzer ist mit seiner ausgeklügelten Technologie, das ist in Österreich die raffinierte Produktion der Zuckerbäcker." Tu felix. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist der Befreiungstheologe Hans-Eckehard Bahr am 6. Februar, seinem 91. Geburtstag, in Bochum gestorben.

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