Nachruf:Beatles-Fotografin Astrid Kirchherr

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Astrid Kirchherr mit Ringo Starr und John Lennon bei den Dreharbeiten zu "A Hard Day's Night". (Foto: Max Scheler/Getty/Redferns)

Den wilden Buben gab sie erst das Image und dann den entscheidenden Touch: Zum Tod der Beatles-Fotografin Astrid Kirchherr.

Von Willi Winkler

Stu Sutcliffe ist ein Künstler ohne Werk, frühvollendet, ein großer Anstifter und ebenso großartig vergessen. Auf dem Cover von "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" steht er als Ur-Beatle ganz links außen neben Aubrey Beardsley. Das Foto stammt von Astrid Kirchherr. Angestiftet von Klaus Voormann entdeckte sie im Oktober 1960 im Kaiserkeller in der Hamburger Großen Freiheit 36 eine Gang, die vor besoffenen Matrosen und ihren einheimischen Flietscherln einen Höllenlärm veranstaltete. Wenn die Deutschen "Mak Schau!" auf die Bühne riefen, führte sich John Lennon wie ein Irrer auf, brüllte "Sieg Heil!" und trampelte so wild zu "Twist and Shout", dass die Bretter zu bersten drohten. Neben ihm spielte fast ungerührt Sutcliffe auf dem Bass herum und war ansonsten um größtmögliche Ähnlichkeit mit James Dean bemüht. Astrid Kirchherr verliebte sich auf der Stelle.

Niemand kannte die Beatles zu Hause in Liverpool, aber in Hamburg kamen sie als leistungsstarke Musiker groß heraus, weil sie die ganze Nacht durchspielen konnten. Astrid Kirchherr versorgte sie dafür mit Preludin, gab ihnen aber vor allem das Image. Sie führte die Milchbuben - George Harrison war siebzehn, Lennon zwanzig - aufs Heiliggeistfeld, platzierte sie auf den Transportfahrzeugen der Schausteller und machte sie zu waschechten, dreckigen Rock'n'Rollern. Sie konnte kaum Englisch, drehte ihnen deshalb wortlos den Kopf in Position, und sie ließen sich das gefallen. An der Kunsthochschule hatte sie die Meisterklasse von Reinhart Wolf besucht, für den sie inzwischen als Assistentin arbeitete. Bei ihm hatte sie Schwarz-Weiß-Fotografie mit der zweiäugigen Rolleicord gelernt und begonnen, Aufnahmen auch draußen zu versuchen, Bilder ohne Kunstlicht, Farbe nur durch den maximalen Kontrast.

Astrid Kirchherr regierte die Hamburger Fraktion der Pariser Szene, von der sie nicht viel mehr kannte als grabschwarze Exi-Klamotten und den ebenmäßigen Kopf von Jean Seberg. Sie gab den wilden Buben den entscheidenden femininen Touch, die Haare nach vorn; die später sogenannte Pilzkopffrisur war nämlich ein Gruß von der Seine.

Stu Sutcliffe verließ die Beatles, verlobte sich mit Astrid Kirchherr und widmete sich ganz der bildenden Kunst. Sein Lehrer, der Pop-Art-Gigant Eduardo Paolozzi, bezeichnete ihn als einen seiner besten Schüler. Allein, die Kunst hat ihren Preis: Sutcliffe erlitt eine Hirnblutung und starb schon 1962 auf dem Weg ins Krankenhaus. Drei Tage später landeten die Beatles zu einem weiteren Gastspiel in Hamburg. Auf dem Dachboden, in dem Sutcliffe gemalt hatte, gelang Kirchherr eins der schönsten Bilder: Harrison und Lennon vereint in der Trauer um den toten Freund.

Die Beatles hielten ihr die Treue, beschäftigten sie als Standfotografin bei den Dreharbeiten zu ihrem ersten Film "A Hard Day's Night". Ihr letztes Foto entstand 1968; George Harrison verwendete es für das Cover seines ersten Soloalbums. Paul McCartney hat eins seiner schönsten Lieder über sie geschrieben: "Baby's in Black". Am vergangenen Dienstag, am 12. Mai, ist der erste Beatles-Fan Astrid Kirchherr 81-jährig in Hamburg gestorben. Die Stadt, von der aus die Beatles weltberühmt wurde, trägt einen Trauerflor.

© SZ vom 18.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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