Nachruf auf Traugott Buhre:Zartes Schwergewicht

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Er ruhte in sich wie ein Buddha und hatte eine natürliche Autorität: Zum Tod des Ausnahmeschauspielers Traugott Buhre.

Christine Dössel

"Annntitalennnnt!" - wenn Traugott Buhre als Theaterdirektor Bruscon loswetterte, um das "Rad der Geschichte" neu zu erfinden, wackelten die Wirtshausbühnenbretter, die ihm nicht etwa die Welt, sondern eine "jahrtausendealte Perversität" bedeuteten. Buhre, dieser gewaltige und doch immer auch zarte Schauspieler, war die Idealbesetzung für Thomas Bernhards "Theatermacher", diesen zürnenden, grollenden, liebenden, stundenlang dahinschimpfenden, durch und durch größenwahnsinnigen Bühnenenthusiasten, der mit seiner Wanderschmiere im Schwarzen Hirschen zu Utzbach gastiert: "Utzbach wie Butzbach."

Er kam aus der Provinz und lernte seine ersten Texte auf dem Traktor: Traugott Buhre starb im Alter von 80 Jahren. (Foto: Foto: ddp)

Uraufgeführt 1985 bei den Salzburger Festspielen in der Regie von Claus Peymann, wurden das Stück und der kongeniale Protagonist mit Jubel überschüttet: Es war ein Stück Welttheater, das da gefeiert wurde - von Peymann ans Schauspielhaus Bochum und später ans Wiener Burgtheater übernommen. Die letzte - es war die 151. - Vorstellung fand im Januar 2005 am Berliner Ensemble statt.

Ein Stachel im Getriebe

Der Theatermacher ist die vielleicht unvergessenste und glänzendste Rolle in der an Höhepunkten wahrlich nicht armen Karriere des Charkterschauspielers und -kopfes Traugott Buhre. Neben Bernhard Minetti, mit dem er 1984 gemeinsam in "Der Schein trügt" am Schauspielhaus Bochum auf der Bühne stand, war er einer der begnadetsten Thomas-Bernhard-Schauspieler überhaupt. In sieben Uraufführungen des österreichischen Grantlers hat er mitgewirkt. So war er, wieder in Peymanns Regie, der Ernst Ludwig in "Immanuel Kant" (1978 in Stuttgart) und brillierte in der Rolle des Gerichtspräsidenten und ehemaligen SS-Offiziers Rudolf Höller in der bösen Komödie "Vor dem Ruhestand" (1979 in Stuttgart und später auch am Wiener Burgtheater).

Traugott Buhre war kein Verwandlungsvirtuose, sondern ein Schauspieler, der aus sich selber schöpfte. Er schien, noch im größten Tobsuchtsanfall, wie ein Buddha in sich zu ruhen und spielte stets kraft seiner inneren Autorität. Dass er auch äußerlich eine sehr imposante Erscheinung war, ließ ihn wie ein schwerer Held erscheinen, aber da war nichts Kraftmeierndes und Grobes an ihm; vielmehr erstaunte dieses Schwergewicht immer wieder durch seine Sensibilität und durch eine so grundnatürliche Wahrhaftigkeit und Präsenz, wie sie höchst kostbar und selten ist auf der Bühne. Wenn die Rolle es verlangte, konnte er seinen massigen Körper ganz klein und verwundbar machen. Ein "empfindsames Ungeheuer" nannte ihn der Kritiker Georg Hensel einmal.

Buhre war nie einer, der sich spreizte, sich produzierte oder exponierte. Das hatte dieser stämmige Mann mit den weichen, fleischigen Zügen gar nicht nötig. Oft schwieg er auf der Bühne nur, saß da mit der ganzen Gewichtigkeit seiner Person und ließ einfach nur seinen Körper und seinen skeptischen Blick sprechen - oder besser gesagt: stechen. Denn ein Stachel war dieser Schauspieler immer, ein Stachel im Getriebe der Welt und des Theaterbetriebs, in dem er trotz seines Ruhms ein Außenseiter, ein Fremdling blieb: einer, der vom Acker kam.

Geboren am 21. Juni 1929 im ostpreußischen Insterburg als Sohn eines Pastors, erlebte Buhre, das Scheidungskind, den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als totale Zerstörung. Er erzählte einmal, wie er als Junge Leichen aus den Kellern zog und "ungeheuer viel Blut" sah. Als Flüchtling kam er in die Lüneburger Heide, wo er als Hilfskraft auf einem Bauernhof arbeitete. Die Texte für die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule in Hannover lernte er auf dem Traktor, während er das Feld bestellte. So einer kennt das Leben mit all seinen Nöten und bringt es mit ins Theater - als einen "Einfühlungsschauspieler" betrachtete sich Buhre nie. Er war ein Naturvirtuose, als solcher ungeheuer "echt".

Der Weg aus der Provinz

Nach seinem Debüt in der Provinz kam er über Karlsruhe, Bremen und Köln Ende der sechziger Jahre zu Peter Palitzsch nach Stuttgart und wechselte mit ihm nach Frankfurt. Zwölf Jahre arbeiteten die beiden zusammen. Es war die Zeit des politischen Theaters - Buhre, der spätere Attac-Anhänger, nannte sie seine "befriedigendste Zeit" am Theater überhaupt. Danach waren es vor allem Claus Peymann und Andrea Breth, in deren Inszenierungen Buhre große, maßgebliche Erfolge feierte. Aber er beeindruckte auch als Filmschauspieler und Rezitator und war an allen großen Bühnen der Republik zu Gast.

Mit Peymann arbeitete Buhre in Stuttgart, Bochum, Wien und zuletzt am Berliner Ensemble. Er war Peymanns fulminanter Nathan (1981 in Bochum) und triumphierte als der alte Blinde in der Uraufführung von Peter Turrinis "Alpenglühen" (1993, Wien). Bei Breth spielte Buhre in Maxim Gorkis "Die Letzten"den korrupten Patriarchen Iwan Kolomizew und im "Nachtasyl" den Wanderer Luka; und er war (1990 am Burgtheater) ihr Dorfrichter Adam in Kleists "Zerbrochnem Krug". Bei der diesjährigen Ruhrtriennale sollte er in Breths Regie in eben diesem Stück wieder auftreten, musste aber vor zwei Wochen aus gesundheitlichen Gründen absagen.

In der Nacht auf Sonntag ist Traugott Buhre, der leidenschaftliche Tischler und Vater von sieben Kindern, nur einen Monat nach seinem achtzigsten Geburstag gestorben. Seine letzte Rolle hatte er, wie könnte es anders sein, in einem Stück von Thomas Bernhard: Als Admiral in der Komödie "Immanuel Kant", inszeniert von Matthias Hartmann, stand er noch im Juni auf der Bühne des Zürcher Schauspielhauses. Das Theater wird ärmer sein ohne ihn. In Traugott Buhre verliert es seinen sanftesten Hünen.

© SZ vom 29.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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