Mythos Musketier:Fußsoldat als Superstar

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Wieder einmal kommen die drei Musketiere ins Kino, wieder einmal nehmen sie die Bastionen ihrer Feinde und die Herzen der Damen im Sturm. Alexandre Dumas schuf mit seinem Roman 1844 den ewigen Mythos degenschwingender Edelleute - doch in Wirklichkeit waren Musketiere einfache Soldaten mit einem mörderischen Job.

Cord Aschenbrenner

Ein junger Mann reist im Jahre 1625 aus der Provinz nach Paris. Im mit Bewaffneten überfüllten, höllisch lauten Pariser Palais des Hauptmanns de Tréville, dem er sich vorstellen soll, wird er Zeuge der folgenden Szene:

Kostümheld Musketier: Im wahren Leben waren die Kämpfer einfache Fußsoldaten mit Muskete, einem primitiven einschüssigen Gewehr. Von elegant den Säbel schwingenden Herren aus guter Familie mit Hut und Federbusch - dem Bild, das seit Dumas' Roman mit dem Begriff "Musketier" verbunden ist - konnte keine Rede sein. (Foto: David Ebener/dpa)

Als er zur Treppe gelangte, war alles noch schlimmer: Er fand hier auf den ersten Stufen vier Musketiere, die sich mit folgender Übung belustigten, während zehn bis zwölf mit ihren Kameraden auf dem Absatz warteten, bis sie an die Reihe kämen. Einer von ihnen, der mit blankem Degen auf der obersten Stufe stand, hinderte die anderen daran heraufzusteigen, oder er bemühte sich wenigstens, sie daran zu hindern.

Diese drei anderen fochten mit sehr behänden Degenstößen gegen ihn. D'Artagnan hielt anfangs ihre Eisen für Florette und glaubte, sie seien mit Knöpfen versehen; aber bald erkannte er an gewissen Schrammen, dass jede Waffe im Gegenteil gehörig zugespitzt und scharf geschliffen war. Und sobald es eine Schramme setzte, lachten nicht nur die Zuschauer, sondern auch die handelnden Personen wie die Narren."

Der junge d'Artagnan ist verblüfft; für Alexandre Dumas, den Verfasser des Romans "Die drei Musketiere" dient die Szene als Einführung in die muntere Wesensart der Musketiere, der Leibgarde des französischen Königs, der d'Artagnan sich anschließen will. Bald sind die drei Musketiere Aramis, Athos und Porthos d'Artagnans beste Freunde, zusammen gehen die vier keinem Kampf aus dem Wege.

Fohlenhaft unbekümmert und ausgestattet mit einem Grundzug heiterer Nonchalance, selbstverständlich äußerst gewandt im Führen des Degens, rhetorisch nicht ungeschickt und bei den Damen beliebt, kann niemand die drei Musketiere und ihren jungen Gefährten einschüchtern: weder die Leibgarde des verschlagenen Kardinals Richelieu, noch dieser selbst oder seine Agentin, die so schöne wie dämonische Mylady de Winter.

Kampf und Krieg - keine so lustige Sache

Das liebevolle Bild, das Alexandre Dumas von den Musketieren Louis' XIII. zeichnet, hat allenfalls einen Nachteil: Es stimmt nicht. Beziehungsweise: Hier ist ein Mythos entstanden, den Dumas in die Welt gesetzt, und an dem Hollywood bis heute mit mindestens fünfzehn Filmen weitergesponnen hat, ohne sich groß um das wahre Wesen des Musketiers zu kümmern.

Zum einen waren auch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Kampf und Krieg keine so lustige Sache, wie Dumas sie schildert; die "Mousquetaires de la Garde", die Louis XIII. 1622 ins Leben rief, waren eine Truppe adeliger Raufbolde, ständig in innerfranzösische Händel verstrickt und in den Feldzügen des Dreißigjährigen Krieges im Einsatz.

Zum anderen aber, dies jedoch kann man Alexandre Dumas nicht anlasten, war die Bezeichnung "Musketier" für die aus Edelleuten bestehende Garde des Königs von Beginn an irreführend, auch wenn diese mit Musketen bewaffnet wurden.

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Denn als Musketier galt seit dem frühen 16. Jahrhundert ein einfacher Fußsoldat mit Muskete, einem primitiven einschüssigen Gewehr. Von elegant den Säbel schwingenden Herren aus guter Familie mit Hut und Federbusch - dem Bild, das seit Dumas' Roman mit dem Begriff "Musketier" verbunden ist - konnte keine Rede sein.

Einer der frühesten Einsätze der Musketen ist bei der Schlacht bei Pavia zwischen einem kaiserlichen und einem französischen Heer 1524 bekannt. In seiner "Geschichte der Kriegskunst" von 1901 schreibt der Historiker Hans Delbrück: "Die spanischen und deutschen Schützen, wohl zum Teil schon bewaffnet mit den neuen Gewehren, den Musketen, mit dem weiten sicheren Schuss und der gewaltigen Durchschlagskraft, leisteten ihren Reitern Hilfe.

Die Bäume, Waldstücke und auch der Bach boten ihnen gegen die französischen Gendarmen eine Deckung und ihre Schüsse brachten so viele zu Falle, dass die kaiserlichen Reiter in den Kampf zurückkehren konnten."

Die Muskete brachte den Durchbruch der Feuerwaffen auf den noch mittelalterlich geprägten Schlachtfeldern. Sie schoss schwere Kugeln ab und hatte eine Durchschlagskraft, der Rüstungen und Harnische nicht mehr gewachsen waren. Sie war aber auch so ungefüge, dass der Schütze sie nicht mehr nur mit den Händen halten konnte.

Deshalb wurde das Gewehr beim Schießen auf eine hölzerne Gabel gestützt, die der bedauernswerte Musketier auch noch mit sich trug. Erst später konstruierte man die Muskete so, dass sie auch an die Schulter angesetzt werden konnte. Umstritten blieb das schwere, umständlich mit Pulver und Blei zu ladende Ding aber lange.

Kein Pardon also für Musketenschützen!

Noch bei der Belagerung von La Rochelle 1625, die in den "Drei Musketieren" eine Rolle spielt - dort versuchten sich die protestantischen Gegner Kardinal Richelieus mit Englands Hilfe zu halten - setzten die Engländer, die den Eingeschlossenen zu Hilfe kamen, auf Pfeil und Bogen.

Ein zeitgenössischer Autor schlug sogar Folgendes vor, um den Soldaten das Schießen mit den verachteten Feuerwaffen zu verleiden: "Alle die gezogene Rohr und Frantzösische Füse (d. h. Flinten) führen, haben das Quartier verwürckt." Kein Pardon also für Pistolen- und Musketenschützen!

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Bei allen Zweifeln und bei aller verständlichen Abneigung jener, die ihren Kugeln ausgesetzt waren - die Muskete setzte sich durch. Die Gewehre wurden leichter, sie ließen sich schneller abfeuern, und auch wenn Militärstrategen noch an der Vorstellung festhielten, dass Musketiere allein einem Reiterangriff nicht gewachsen seien, gab es doch schon Regimenter, etwa im schwedischen Heer des Dreißigjährigen Krieges, die nur aus Musketieren bestanden. Hatte das erste Glied, also die erste Linie der Soldaten, gefeuert, zog diese sich durch eine Gasse nach hinten zum Laden zurück, während die zweite vorrückte, dann kam die dritte, während die zweite lud und so weiter.

Gab es eine Reiterattacke, sollten sich die Musketiere hinter die Pikeniere zurückziehen, die dann mit ihren Spießen die Kavallerie auf Abstand hielten. Ein schottischer Oberstleutnant, der in der schwedischen Armee diente und 1631 in der Schlacht bei Breitenfeld nördlich von Leipzig ein Musketier-Bataillon kommandierte, schilderte später den Kampf zwischen Schweden und Kaiserlichen: "Erst ließ ich drei kleinere Geschütze feuern, die ich vor mir hatte und erlaubte meinen Musketieren keine Salve, ehe wir nicht auf Pistolenschussweite an den Feind waren; dann ließ ich die drei ersten Glieder eine Salve feuern, darauf die drei anderen Glieder; dann drangen wir in sie ein und schlugen auf sie los mit Musketen oder Säbeln."

Die farbige Beschreibung mag darüber hinwegtäuschen, dass die Schlacht bei Breitenfeld ein grässliches Gemetzel war, auch dank der viel größeren Zahl der Feuerwaffen, die der schwedische König Gustav Adolf bei den Fußtruppen eingeführt hatte. Die Spießer, wie man die Lanzenträger nannte, hatten zugunsten der Musketiere fast ausgedient. Die Schlacht endete mit einer vernichtenden Niederlage der katholischen Liga.

Wenige Jahre später, 1635, trat auch das katholische Frankreich auf Betreiben Kardinal Richelieus gegen die Habsburger in den Dreißigjährigen Krieg ein. Nicht lange zuvor hatte er noch erklärt, Frankreich habe zu wenige Männer, die zur Kriegführung geeignet seien. Denn es war so, wie Dumas es in seinem Roman beschreibt: Im französischen Adel, aus dem sich das Offizierskorps fast ausschließlich rekrutierte, der aber auch die Angehörigen der Musketierkompanien stellte, herrschten ausgeprägtes Standesdenken und übersteigertes Ehrgefühl.

Durch die Reformen des Kardinals zu Lasten des Adels und zu Gunsten des immer stärker absolutistisch regierenden Königs sowie durch das 1626 bei Todesstrafe verhängte Duellverbot hatte Richelieu unter den Adligen sehr viele Gegner. Insbesondere die Musketiere sahen sich einer geliebten Freizeitbeschäftigung beraubt und verfolgten den Kardinal seitdem mit ihrem Hass. Ihr Hauptmann Tréville, auch er kommt ja bei Dumas vor, beteiligte sich sogar an einer - gescheiterten - Verschwörung zur Ermordung Richelieus.

So wie der historische Rahmen des Romans stimmt, so haben auch seine vier Hauptfiguren tatsächlich gelebt - allerdings etwas später. Der wirkliche d'Artagnan wurde 1623 (bei Dumas ist er da bereits 18) auf dem Schloss Castelmore in der Gascogne geboren und hieß mit vollem Namen Charles d'Artagnan de Batz-Castelmore.

Tod als Brigadegeneral

Auch für seine Kampfgenossen Aramis, Athos und Porthos gibt es historische Vorbilder. Karriere hat nur d'Artagnan gemacht, der es bis zum Kapitän der Garde brachte und 1673 als Brigadegeneral durch eine Kugel starb, bei der Belagerung von Maastricht in einem längst vergessenen Krieg. Natürlich wäre auch d'Artagnan längst vergessen, hätte nicht schon ein Zunftgenosse, der, für einen Musketier eher untypisch, die Kunst des Schreibens beherrschte, das Leben des Gascogners geschildert. Hätte dies nicht Alexandre Dumas in die Finger bekommen und seinerseits etwas daraus gemacht - von d'Artagnan spräche niemand mehr.

© SZ vom 03.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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