Musiktheater:Flügel zum Fliegen

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In einer Szenerie von Totenköpfen und Kerzen bringen die Darsteller Frida Kahlos Lieben und Leiden auf die Bühne. (Foto: Christian Pogo Zach)

In einer Collage ergründet der Jugendclub des Gärtnerplatztheaters die verschiedenen Facetten der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo

Von Laura Helene May

Nichts ist absolut. Alles verändert sich, alles bewegt sich, alles dreht sich, alles fliegt und verschwindet", meinte Frida Kahlo einst. Diese dynamische Weltsicht schlug sich auch im Wesen der mexikanischen Künstlerin nieder. Sie brachte neben künstlerischem Genie auch eine multiple Persönlichkeitsstörung mit sich. Der Jugendclub des Gärtnerplatztheaters stellte sich für seine diesjährige Aufführung, die an diesem Donnerstag, 4. Juli, Premiere hat, die Frage: Frida Kahlo war eine Künstlerin - und weiter? Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren begaben sich seit Januar auf eine musiktheatralische Suche nach einer Erklärung zu dieser komplexen Frage. Und haben beeindruckend vielschichtige Antworten gefunden.

Das Ergebnis ist eine selbstverfasste Musiktheater-Collage, die sich an Frida Kahlos eigenem surrealistisch-folkloristischen Kunstbegriff orientiert. Die Betreuung dieses künstlerischen Schaffungsprozesses ist dabei sehr professionell. Die Leiterin des Jungen Gärtnerplatztheaters, die Regisseurin und Dramaturgin Susanne Schemschies, ist seit der Spielzeit 2014/15 in München engagiert. Die italienische Choreografin und Tänzerin Roberta Pisu arbeitete als Mitglied des Tanzensembles "La Compagnia" in Rom bereits mit Künstlerinnen wie Pina Bausch und Wayne McGregor zusammen. Auch die musikalische Leitung (Bettina Ostermeier), Bühne und Kostüm (Stephanie Thurmair), Komposition (Sofia Lainoviv), Licht (Markus Kösler) und Technik, sind sachkundig besetzt. Das beachtliche Ergebnis der wöchentlichen Proben seit Januar ist aber nicht nur die Arbeit der Profis, sondern zu großem Teil aus den Ideen der jungen Schauspielerinnen in einer Schreibwerkstatt geboren.

Vor dem Beginn der ersten Hauptprobe ist die Anspannung deutlich spürbar. Namen werden gerufen, an Kostümen gezupft, Mikros überprüft. Die Choreografin rennt noch einmal über die Bühne, während eine spanische Frauenstimme durch die Lautsprecher schon den Beginn des Stückes ankündigt. Beim ersten Anlauf funktioniert das Mikro der Pianistin, die sich im Laufe der Probe als musikalisches Multitalent entpuppt, nicht; dann verläuft die Probe jedoch nach Plan. Mit erstaunlich reifer Ausstrahlung erzählen die dreizehn Darsteller die Geschichte einer dramatischen Biografie voller Liebe, Leid, Sexualität und Eifersucht. Modern und lustig wird Kahlos Persönlichkeit in verschiedene Personen aufgespalten. Sie zweifelt an allem und ist gefangen. In ihrem Körper und ihrem Haus, ihrer Liebe zu Diego Rivera und ihren eigenen Erwartungen.

Das Bühnenbild mit Totenköpfen und Kerzen verstärkt zusammen mit den bunten Kostümen die spirituelle Stimmung rund um die getriebene Künstlerin. Choreografie und Musik sind mal erfüllt von herzzerreißender Traurigkeit, mal überzogen und witzig. Die Erzählung ist mal ruhig und traditionell, mal laut und modern, etwa bei der simulierten TV-Show "Künstlercouples im Brennpunkt". Der Prozess der Selbstermächtigung Frida Kahlos wird begleitet von zahlreichen bekannten Melodien. Diese werden von den Jugendlichen so einprägsam und selbstbewusst gesungen, dass man sich fragt, wie viel sie in der Zukunft eigentlich noch dazulernen können. Der Sinn des Lebens und der Wunsch zu sterben; unendliche Liebe und die Angst sie zu verlieren; hemmungslos offene, (gleichgeschlechtliche) Sexualität und die emotionalen Folgen einer offenen Beziehung. Die Teenager sind offensichtlich alt genug für diese Themen, denn man zweifelt keine Sekunde an der Echtheit ihrer Gefühle. Auch die Technik von Tanz, und Gesang ist dabei bemerkenswert.

Als "eine Sache für Profis" bezeichnete FDP-Chef Christian Lindner die Auseinandersetzung mit den großen Zusammenhängen der Welt kürzlich und beschwor damit eine Debatte herauf über die Macht und Ohnmacht der Jugend, sich mit existenziellen Fragen auseinanderzusetzen. Diese Aussage wird mit dieser jugendlichen Musiktheaterleistung ein weiteres Mal widerlegt. Der unmittelbare Blick auf die Welt mit all ihren Sonnen- und Schattenseiten offenbart sich in dieser Inszenierung des Jungen Gärtnerplatztheaters. Um es mit den Worten Frida Kahlos zu sagen: "Füße, wofür brauche ich euch, wenn ich Flügel zum Fliegen habe?"

Frida Kahlo ; Donnerstag und Freitag, 4.und 5. Juli, 19.30 Uhr, Samstag, 6. Juli, 15 Uhr, Staatstheater am Gärtnerplatz

© SZ vom 04.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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