Musiktheater:Die verflixte siebte Kugel

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Lebensgierig und verführbar: Käthchens Mutter (Johanna Meinhard), hier mit Wilhelm (Cedric von Borries) in "The Black Rider". (Foto: Gabriela Knoch, Mainfranken Theater)

Tim Egloff inszeniert in Würzburg verspielt und doch berührend "The Black Rider". Dank der Spiellust des jungen Ensembles hat das Musiktheaterstück alle Chancen, ein Publikumsrenner zu werden

Von Florian Welle

Gerade noch war Wilhelm der "Sesselpuper", der noch nie auf der Jagd war. Doch jetzt, mit den magischen Kugeln, die er sich vom Stelzfuß hat andrehen lassen, wird er übermütig. Nun hält er das Gewehr verkehrt herum, schießt. Und trifft. Schaut nicht hin. Und trifft und trifft trotzdem und kann sein Glück nicht fassen. Auf einmal scheint ihm die Welt zu gehören. Auf alle Fälle die Försterstochter. Cedric von Borries ist Wilhelm, und die Verwandlung vom verunsicherten Jüngelchen zum scheinbar allmächtigen Schützen gelingt ihm mit Verve. Er reißt die Augen auf, springt, jubiliert. Kurz: Er ist voll drauf. Adrenalin oder doch eher Droge, das ist hier die Frage. So oder so: Das von Julia Baukus bezaubernd gespielte Käthchen ist hin und weg.

1990 hatte "The Black Rider. The Casting of the Magic Bullets", wie das Musiktheaterstück von William S. Burroughs, Tom Waits und Robert Wilson im Original heißt, Premiere. Seitdem hat das Musical, das Motive der Freischütz-Sage und der gleichnamigen Oper von Carl Maria von Weber zu einem wild rumpelnden Mix aus Varieté, Schauermärchen und Vaudeville vermengt, seinen Siegeszug auf den Bühnen angetreten: "There is a light in the forest, there is a face in the tree."

Auch die Inszenierung des Mainfrankentheaters hat das Zeug, ein Publikumsrenner zu werden. Gerade weil Regisseur Tim Egloff das Stück bei allen verspielt-humorvollen Einlagen ernst genommen hat und den Menschen als leicht verführbares Wesen zeigt, das bereit ist, Grenzen zu überschreiten, um ans Ziel zu gelangen, seine (Lebens-)Gier zu befriedigen. Bei ihm kippt sich selbst Käthchens Mutter eins hinter die Binde. Das macht Sinn, weil Burroughs und Waits den "Black Rider" durchaus als Allegorie auf ihre Drogenerfahrungen verstanden wissen wollten. Zur Erinnerung: Burroughs erschoss einst seine Frau, als er mit ihr im Rausch die Apfelszene aus Schillers "Wilhelm Tell" nachspielte. Kein Wunder also, dass bei ihnen, anders als in den Vorlagen, die letzte der Kugeln, die Wilhelm abfeuert, ihr Ziel im Herzen Käthchens findet.

Als Spielort hat sich das Würzburger Team um Egloff und die Ausstatterin Nicole Zielke einen Platz ausgesucht, der schöner nicht sein könnte: den mit Glas überdachten Efeuhof neben dem Rathaus, der heute auf den Namen Wilhelm Josef Behrs hört. Behr wurde 1821 Erster Bürgermeister, genau in jenem Jahr also, in dem auch Webers "Freischütz" uraufgeführt wurde. Doch es ist die pittoreske Atmosphäre des kleinen Innenhofes mit seinen Rundbögen, die ihn zum idealen Aufführungsort für das sinistre Musical macht, vor allem wenn es nach der Pause dunkel geworden und er beleuchtet ist.

Egloff lässt den ganzen Hof bespielen. Die kräftig zupackende Band unter Leitung von Adrian Sieber, der auch die singende Säge und das Theremin bedient, ist unter einem der Bögen platziert; die Treppe davor dient genauso als Bühne wie die darüber liegenden Fenster, aus denen die wandlungsfähige Maria Brendel als Stelzfuß immer wieder den Gang der Handlung überwacht. Überdies fliegt von oben so allerlei herunter, erlegte Tiere etwa.

Mitreißend ist die Spiellust des jungen Ensembles. Jeder hat seinen eigenen Zugang zu den scheppernden, schleppenden Songs von Tom Waits gefunden.

The Black Rider , wieder am Mi., 5. Juni, 20 Uhr, Behr-Halle des Rathauses , Mainfranken Theater Würzburg

© SZ vom 31.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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