Musikalische Lesung:Poltern, Schnarren, Nölen

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Lyrikerin Nora Gomringer und Schlagzeuger Günter Baby Sommer nehmen sich "Grimms Wörter" von Günter Grass vor. Eine lebendige Sache.

Von Karl Forster

Es dauerte keine Minute, dann hatte sie den Saal. Ein paar Poetryslammereien, ein Hauch kecker Poesie, eine große Prise Charme, und Nora Gomringer war Herrscherin im Raum, Königin der Muffathalle, damals beim ersten Literaturfest im November 2010. Heute ist Nora-Eugenie Gomringer, Tochter eines Dichters und einer Germanistin und dutzendfach ausgezeichnet, längst fester Bestandteil des modern orientierten Kulturbetriebs, den sie aber immer wieder gern auf die Schippe nimmt. Beim diesjährigen Münchner Literaturfest tritt sie auf als Interpretatorin von Günter Grass' letztem Werk "Grimms Wörter", welches der Autor zwar auch selbst als Hörbuch eingelesen hat, dabei aber ganz offensichtlich und hörbar Luft nach oben gelassen hat bei Form und Art der Darbietung.

Dass Wörter sich zu Rhythmus fügen, ist beileibe keine Erfindung der Gegenwart. Schon in den wilden Jahren des Freejazz kam es zu Treffen der Freigeist-Trommler mit den Apologeten des Dadaismus und somit zu fröhlichen Duetten zwischen Gesprochenem und Geklopftem. Auch der Münchner Schriftsteller Joseph von Westphalen lud zur Lesung schon mal einen Jazzbassisten zur Begleitung und Anreicherung und schenkte seinem Romanhelden Harry von Duckwitz auf dem Hörbuch gar einen ganzen Jazz-Querschnitt. Und man darf ganz ohne Bildungshuberei daran erinnern, dass schon die Geschichte der Antike weitestgehend in Rhythmus gefasst ist: Homer, Vergil, Ovid und viele mehr schrieben im Takt des Hexameters. Wer sich deren Texte laut vorliest, kommt schnell in den Zauber und Swing dieser Sprache in sechs Betonungen.

In den wilden Jahren des Freejazz kam es schon zu fröhlichen Duetten zwischen Gesprochenem und Geklopftem

Dass nun also Nora Gomringer, die zuerst als Poetry-Slammerin (deutsche Meisterin) und Lyrikerin Deutschlands Kulturwelt elektrisierte und dann auch noch die Frechheit besaß, 2015 ganz locker den Ingeborg-Bachmann-Preis zu gewinnen, zusammen mit dem Schlagzeuger Günter "Baby" Sommer eine Lesung gestaltet, wäre nichts allzu Außergewöhnliches. Sie hat schon mit diversen Rhythmusspezialisten erfolgreich gearbeitet und ist, auch dank ihrer Begabung fürs gepflegte Entertainment, gefragt als Moderatorin oder Gesprächspartnerin. Es ist hier der Text, der den Auftritt der beiden zum Ereignis adelt: Dieses letzte Buch von Günter Grass - "Grimms Wörter" -, mit dem sich der große deutsche Schriftsteller in eine andere Welt verabschiedete.

Nora Gomringer ist eine Idealbesetzung für die Interpretation dieser "Grimms Wörter". Sie hat sich ja dank ihrer tausend Begabungen und Leidenschaften spätestens als Leiterin des internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg in der Kulturwelt etabliert. Trotzdem hat sie ihren scharfen Wortwitz, ihre blitzschnelle Intelligenz und ihren bei aller Liebe zur Boshaftigkeit gewinnenden Charme nie irgendeiner Art Karrierebeschleunigung geopfert. Und wäre sie nicht 1980 im Fränkischen, sondern im Schwäbischen geboren, passte auch das dort so geläufige Wort "Schwertgosch" perfekt auf sie. Gomringer hat sich Grass' Text, der ja in der deutschen Kritikerrunde mit eher gedämpfter Begeisterung aufgenommen wurde, liebevoll angenommen. Und gibt ihm so einen warmen Unterton, der manche Eitelkeit, die der Dichter in seinem Hang zur Selbstreflexion hier hat einfließen lassen, hintanstehen lässt.

Wobei natürlich auch die Musik das ihre dazu beiträgt. Günter "Baby" Sommer ist ja kein Schlagzeuger wie Charlie Watts oder Ringo Starr, obwohl er deren Generation angehört. Er hat der alten DDR den Freejazz gebracht, was bei manchen Politkadern Alarm auslöste, nicht zuletzt irritierte auch seine Zusammenarbeit mit dem späteren Republikfeind Wolf Biermann. Vor allem mit dem Zentralquartett demonstrierte Günter "Baby" Sommer rund um die Welt sehr intellektuellen deutschen Jazz und was damit verwandt war. So ist er eben nicht nur Schlagzeuger, sondern trommelt auf allen denkbaren Arten von Perkussionen, adelt gar Küchengeräte zu Soloinstrumenten. Und wird so zum idealen Geräuschemaler, der Nora Gomringers Grass-Worten Klangfarben beimischt; immer mit dem einen Ohr beim gesprochenen Wort, mit dem anderen seinen Klöppeleien nachlauschend, ob sie denn auch wirklich dazu passen.

Und Grass' Text ist ja, sieht man vom eingewebten Selbsterlebten ab, durchaus von munterer Weisheit. Die Geschichte von Jakob und Wilhelm Grimm, die sich der Sisyphos-Arbeit zu einem "Deutschen Wörterbuch" hingaben, das noch heute als "Der Grimm" den Status einer Bibel hat, ist zwar bekannt. Aber wie Grass "Von A wie Auge um Auge bis Z wie Zahn um Zahn" Leben und Werk schriftstellerisch aufbereitet, fordert geradezu eine schauspielerische Umsetzung. Dass dabei Günter "Baby" Sommer nicht auf die dem Autor so nahe Blechtrommel verzichtet, dass Nora Gomringer Wörter wie "Kollateralschaden" oder "Kasinokapitalismus" ins Parkett schießt, Begriffe also, die die Grimms noch gar nicht kannten, Günter Grass aber für wichtig genug hielt, sie ihnen zuzuschreiben, gehört zur klugen Strategie des Unternehmens. Genauso wie die kunstvolle Modulation von Gomringers Stimme von polternd über schnarrend bis nervig nölend.

Es wird dies, das sei versprochen, alles andere als ein langweiliger Vorleseabend.

Nora Gomringer, Günter Baby Sommer, Grimms Wörter, Donnerstag, 23.11., 19 Uhr, Gasteig.

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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