Musik:Urbi et orbi

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Der Chor der Sixtinischen Kapelle sang lange nur exklusiv für Kardinäle. Jetzt haben die päpstlichen Sänger ihre zweite CD herausgebracht: die legendäre "Missa Papae Marcelli" von Palestrina, die früher bei jeder Papstkrönung aufgeführt wurde.

Von Helmut Mauró

Nur drei Wochen lang war er Papst, aber sein Name ist zumindest jedem Musikliebhaber bis heute präsent: Papst Marcellus II., amtierend im April 1555. Ein bescheidener Mann, der zu seiner Krönung am Gründonnerstag erst einmal dem Brauch gemäß zwölf armen Römern die Füße wusch und sich anschließend in einer unspektakulären Zeremonie die Tiara aufsetzen ließ. Am nächsten Tag rief er die berühmten Sänger der Cappella Sistina zu sich und beschwor sie, an diesem Karfreitag weniger Wert auf die Pracht des Gesangs zu legen als vielmehr darauf, die heiligen Worte so verständlich wie möglich zu artikulieren.

Daraus entstand die nachhaltigste Legende der Musikgeschichte, die Hans Pfitzner 1915 sogar eigens in einer Oper eindrucksvoll ausbreitete: Der Komponist Giovanni Pierluigi da Palestrina habe verhindert, dass auf dem Konzil von Trient die mehrstimmige Kirchenmusik abgeschafft würde, weil sie den Text zu sehr in den Hintergrund dränge. Angesichts des Erfolges der Lutheraner bemühte man sich, auch die katholische Messe etwas einfacher zu gestalten. Nichts davon ist wahr, aber die Geschichte ist gut und jenes Werkes würdig, das Palestrina mit seiner "Missa Papae Marcelli" geschaffen hat.

Fortan wurde diese Messe zu jeder Papstkrönung gesungen. Bis Johannes Paul I., der immerhin vier Wochen lang Papst war, dieser Tradition 1978 ein Ende setzte. Und wenn diese Entscheidung möglicherweise gar keine theologische, sondern eine rein musikalische war, so müsste man sie heute revidieren. Denn unter der Leitung des Priesters und Kirchenmusikers Massimo Palombella ist der Chor der Sixtinischen Kapelle wieder zu einem Aushängeschild polyphoner Sangeskunst geworden. Anders als in den vergangenen Jahrhunderten bleibt ihr Tun aber nicht mehr geheime Kunst für Kardinäle, sondern sie öffnet sich via CD der ganzen Welt, urbi et orbi.

Früher musizierten die Sänger der Sixtinischen Kapelle exklusiv für die Kardinäle

Dass der Chor, dirigiert von Massimo Palombella, sich nun in seiner zweiten Veröffentlichung gleich an ebenjene Missa Papae Marcelli von Palestrina wagt (Deutsche Grammophon), zeigt nicht nur die Entschlossenheit des Ensembles, die große Tradition der Sistina wiederzubeleben, sondern auch den nötigen Künstlermut, dies auf hohem Niveau in Angriff zu nehmen. Die Präzision der Stimmführung überrascht, die Intonation ist perfekt, die hellen, aber nicht übertrieben glamourösen Soprane mischen sich mit den Tenören zu einem stabilen Oberbau, das Bassfundament ist unaufdringlich präsent. Darüber hinaus wirkt der hochartifizielle Gesang nahezu unangestrengt und spirituell in sich ruhend. Dabei mag der Genius loci, also die Sixtinische Kapelle selbst, in der die Aufnahmen stattfanden, Inspiration beisteuern. Zumindest mag man sich das vorstellen, wenn man in diesem Raum sitzt und den Chor singen hört.

Was auf jeden Fall hörbar ist, das ist der große Respekt vor Palestrinas Musik, die bis heute fasziniert, obwohl sie jedweden Kriterien musikalischer Unterhaltung spottet. Sie ist nicht nur anstrengend zu singen, sondern auch zu hören. Man muss sich in die einzelnen Stimmen hineindenken und staunen können über die Harmonien, die beim Zusammentreffen der disparaten Melodien entstehen. Man muss ein Gespür entwickeln für die Spannungsenergie dissonanter Intervalle und ihrer Auflösung, muss dem steten Klangfluss in all seinen Biegungen und Brechungen folgen und keine Angst haben, sich darin zu verlieren. Dann allerdings erschließen sich die Geheimnisse musikalischer Wirkung aufs Überraschendste.

© SZ vom 29.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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