Musik:Dudamel und der Diktator

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Der Venezolaner Gustavo Dudamel, Jahrgang 1981, gilt als einer der besten und gefragtesten Dirigenten weltweit. Er ist Chefdirigent beim Nationalen Simón-Bolívar-Jugendorchester und beim Los Angeles Philharmonic Orchestra. (Foto: Herbert Neubauer/dpa)

Nachdem der venezolanische Stardirigent Gustavo Dudamel Präsident Maduro scharf kritisiert hat, rächt sich Letzterer nun, indem er eine Konzertreise des Símon-Bolívar-Jugendorchesters durch die USA verboten hat.

Von Harald Eggebrecht

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Venezuelas Präsident Nicolás Maduro sich rächen würde für den offenen Brief des Dirigenten Gustavo Dudamel, des wohl berühmtesten Venezolaners unserer Tage. Der hatte im vergangenen Juli in der New York Times und in der spanischen Zeitung El País gefordert, die Regierung Maduro solle die Wahl zu einer Verfassunggebenden Versammlung unterlassen. Es sei "Pflicht als venezolanischer Bürger, meine Stimme zu erheben gegen die verfassungswidrige Entmachtung staatlicher Institutionen". Doch am 18. August geschah genau das: Das Parlament wurde von der Versammlung entmachtet. Maduro höhnte am selben Abend im Fernsehen: "Willkommen in der Politik, Gustavo Dudamel!" Doch wirklich getroffen hat er den seither als Abtrünnigen und Verräter am venezolanischen Staat verunglimpften Musiker erst jetzt: mit der Absage der US-Tournee des Nationalen Simón-Bolívar-Jugendorchesters durch vier Städte, darunter Chicago und Los Angeles. Dudamel ist der Chefdirigent dieses brillanten Ensembles. Er beklagte via Twitter "die herzzerreißende Absage" bitter. Doch betonte er trotzig: "Wir werden weiter für ein besseres Venezuela und eine bessere Welt spielen und kämpfen." Im Mai hatte er - endlich - sein Schweigen zur katastrophalen Entwicklung seines Heimatlandes gebrochen und verkündet, es reiche. Anlass war der gewaltsame Tod eines jungen Bratschers während der täglichen Proteste.

"Spielen und kämpfen", das ist das Gründungsmotto von "El Sistema", jenem Musikerziehungsprojekt, das in ganz Venezuela als weltweit bewundertes soziales Kinder- und Jugendbildungsprogramm funktioniert. Noch. Dudamel ist der Chef von El Sistema und zugleich sein berühmtestes Produkt. Dass er allzu lange zögerte, gegen die unhaltbaren, nahezu bürgerkriegsähnlichen Zustände im Land öffentlich Stellung zu beziehen, lag auch an der letztlich naiven Überzeugung, er habe El Sistema als überparteilich funktionierende Institution zu retten. Doch bereits als der frühere Präsident Hugo Chávez El Sistema sich direkt unterstellte, war zu ahnen, dass Überparteilichkeit nurmehr eine Schimäre war. Inzwischen streiken Sistema-Musiker überall im Land, gehen auf die Straße, um nicht für das Maduro-Regime in Dienst genommen zu werden. Manche versuchen ihr Glück im Ausland. Indem Maduro die US-Tour des Orchesters absagen ließ, ist der Bruch mit dem einstigen Vorzeigestar Venezuelas vollzogen. Es ist schwer denkbar, dass Dudamel unter diesen Umständen in seiner Heimat noch so agieren wird können, wie er selbst sich das vorgestellt haben mag.

© SZ vom 24.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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