Museumspolitik:Fliehen, um zu leben

Lesezeit: 4 min

Herbert Wehner lebte während der NS-Zeit erst in der Sowjetunion, dann in Schweden im Exil. Hier wird der Politiker Jahre später von Stefan Moses fotografiert. (Foto: Ulrich Gehner/teamwork)

Vor sechs Jahren forderte die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller ein Museum des Exils. Es fehlt bis heute. Nun greifen Berliner Bürger die Idee auf und gründen eine private Stiftung. Sie verdient jede Unterstützung.

Von Jens Bisky

Berlin W" war Feindbild. Wer Internationalität ablehnte, Avantgardekunst ebenso verabscheute wie Kaffeehausliteraten, wer Jazz und Revue missbilligte, wer Juden hasste, der fand im damals neuen Westen auf dem Kurfürstendamm und in den Seitenstraßen all das beisammen. Am 12. September 1931 marschierten SA-Leute in Gruppen zu je 50 Männern auf beiden Seiten des Ku'damms. "Wir haben Hunger", skandierten sie, "Wir wollen Arbeit", "Schlagt die Juden tot". Die so brüllten, schlugen Juden zusammen, beschimpften, bedrohten Passanten. Es war ein Vorspiel der Pogrome des 9. November 1938, als die Synagoge in der Fasanenstraße brannte.

Nur wenige Schritte entfernt liegt in der Fasanenstraße, idyllisch und urban zugleich, die Villa Grisebach. Hier residiert das Auktionshaus Grisebach, das Bernd Schultz in den Achtzigerjahren mitbegründete. Im vergangenen Jahr zog sich Schultz, den man in Berlin gern den "Regierenden Bürger" nennt, aus Altersgründen aus dem Tagesgeschäft zurück. Gegenwärtig betreibt er ein neues kulturpolitisches Projekt. Er will alles tun, um - möglichst schon im Jahr 2020 - ein Exilmuseum in Berlin zu eröffnen.

Der Streit um einen neuen Ort für das Käthe-Kollwitz-Museum behindert die Diskussion

Von einem Ort der Erinnerung an die Hunderttausenden, die vor der NS-Diktatur flohen, war schon ab und an die Rede. 2011 appellierte die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in einem Brief an die Bundeskanzlerin, Deutschland brauche ein "Museum des Exils", "um sich über die Verluste durch die Vertreibung von Künstlern und auch von Wissenschaftlern klar zu werden. Einen Ort, der die oft fürchterlichen Lebensumstände derjenigen zeigt, die kurz davor noch die Elite dieses Landes waren, das kulturelle Leben in Deutschland prägten". Die Bundesregierung finanzierte daraufhin das virtuelle, 2013 freigeschaltete Museum "Künste im Exil". Es ist leider nicht so reichhaltig, wie es online möglich wäre, und es kann einen zentralen Ort in der Hauptstadt nicht ersetzen.

Des Wartens auf staatliche Initiativen offenkundig müde, hat Bernd Schultz mit einer großzügigen Zustiftung die Gründung einer Stiftung Exilmuseum ermöglicht. Zusammengefunden haben sich in der Initiative unter anderen der frühere Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz, der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner, der einstige Verlagsgeschäftsführer Michael Beckel, der Anwalt Peter Raue und Christoph Stölzl, seit 2010 Präsident der Weimarer Hochschule für Musik. In Berlin hat man ihn vor allem als leidenschaftlichen Museumsmann in der Erinnerung, der es mitten in den Vereinigungsturbulenzen schaffte, das Deutsche Historische Museum (DHM) in eine Bühne für die Selbstverständigungsdebatten der neuen, der Berliner Republik zu verwandeln. Man glaubt es heute kaum noch. Aber wenn Stölzl erzählt, wie er nachts auf Youtube Gespräche mit damals Emigrierten, ins Exil Vertriebenen anschaut, wenn er erste Pläne für das Exilmuseum skizziert, dann spürt man den Ernst und die Leidenschaft, die damals das DHM belebt haben.

Eine private Initiative, die mit privaten Geldern ein Museum von allgemeiner Bedeutung einrichtet, zentral für deutsche Geschichte, das deutsche Selbstverständnis, für die, wenn man so will, Leitkultur - das sollte, könnte man meinen, auf große Zustimmung stoßen. Aber in Berlin ist auch das anders. Neben dem Auktionshaus Grisebach residiert das private Käthe-Kollwitz-Museum. Wenn es umziehen würde, vielleicht nach Prenzlauer Berg, wo Käthe Kollwitz jahrzehntelang lebte, oder nach Neukölln, könnte das Exilmuseum in der Fasanenstraße, Berlin W, eröffnen. Die Immobilie gehört einer Stiftung von Bernd Schultz. Kaum wurde der Umzugsvorschlag bekannt, sprach alles von der Verdrängung des Kollwitzmuseums, die Pläne für das Exilmuseum traten in den Hintergrund. Dieses aber stünde in "Berlin W", dem einstigen Zentrum deutsch-jüdischer Kultur in Berlin, an der richtigen Stelle.

Es geht darum, eine Fülle von Geschichten zu erzählen, die berühmten und die vergessenen

Christoph Stölzl weiß, dass es an mehreren Einrichtungen im Lande Sammlungen, Archive und Forschungsstellen zum Exil gibt. Der zentrale Ort aber fehlt. In den Mittelpunkt will er die Lebenswege der Exilanten stellen, dargestellt anhand einiger auratischer Objekte und vieler medialer Erzählungen. Beginnen könnte der Rundgang mit einem Blick auf die "Sternstunde 1930", auf die Positionen der wenig später Ausgegrenzten, Ausgeraubten, Fortgejagten. Folgen würde ein großes Kapitel über den Prozess des Exils, beginnend mit den Mechanismen der Vertreibung, über Fluchtwege und aufnehmende Länder bis hin zu den verschiedenen Erfahrungen von Armut, Verlust, Rettung, Neubeginn. Unter dem Titel "Metropolen des Exils" könnte es um Emigranten-Soziotope gehen, und um Freundschaften, Notgemeinschaften, Netzwerke, in Prag, Moskau, New York, Mexiko, Shanghai und anderswo. Ein neuer Blick auf deutsche Kulturgeschichte wäre das Ziel.

Es hat immer wieder Vorschläge gegeben, das Thema auszuweiten, von Flucht, Migration, Vertreibung überhaupt zu handeln. Aber das würde wiederum ablenken von jenen, um die es gehen soll, von denen, die vor den Nazis geflohen sind. Ihre Lebenswege und Erfahrungen sind unterschiedlich, der Stoff mit Exilorten zwischen Moskau und Los Angeles reichhaltig genug. Statt also die Weiterung ins Grenzenlose voranzutreiben, soll es etwa um die Folgen für die aufnehmenden Länder gehen. Dafür nur drei Beispiele, es ließen sich Hunderte weitere anführen: Die Arbeit der exilierten Atomphysiker für die Atombombe ist bekannt. Aber auch der "Vater der Pille", Carl Djerassi, war nach dem "Anschluss" Österreichs vor den Nazis geflohen. Der Architekt Victor Gruen, 1938 enteignet, wurde im Exil zum Erfinder der "Shopping Mall". Unter den Remigranten, auch das wäre im Museum darzustellen, spielten Menschen wie der Jurist Fritz Bauer eine entscheidende Rolle, der die Bewertung des Dritten Reichs als "Unrechtsstaat" durchsetzte. An Willy Brandt wäre ebenso zu denken wie an Walter Ulbricht, an Arnold Schönberg wie an Hanns Eisler.

Diese Fülle zu erzählen, ohne ein Ranking der Emigranten zu erstellen, also so, dass neben den Berühmten die kleinen Leute nicht vergessen werden, das ist nicht einfach, aber es ist möglich. Dieser für die deutsche Geschichte und das zwanzigste Jahrhundert zentrale Stoff ist noch nirgends als Gesamtgeschichte in den Blick genommen worden. Sie nicht zu erzählen wäre verantwortungslos.

© SZ vom 23.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: