Bevor die Stadt München in den Weltranglisten der lebenswertesten Städte Spitzenplätze belegte, war sie vor allem ein Sehnsuchtsort für junge Menschen aus Bamberg, Nürnberg oder Augsburg. 1984 zum Beispiel, in dem Jahr, in dem "Bussi - Das Munical" angesiedelt ist, das am Samstag Premiere in der Münchner Reithalle feierte, dem Ausweichquartier der Sanierungsbaustelle Gärtnerplatztheater. Das Stück ist ein furioser Ritt durch das Münchner Nachtleben in den Koks- und Türsteherjahren. Es erklärt aber vor allem, warum München nie so richtig dazugehörte, als sich die bundesdeutschen Städte Hamburg, Düsseldorf und Berlin noch einen Wettstreit lieferten, wer die hippste Stadt im ganzen Land ist. Zumindest ist es sympathisch symptomatisch, dass die bundesdeutschen Achtzigerjahre derzeit mit Kinofilmen, Romanen und einer Wanderausstellung des Goethe Instituts kanonisiert werden und die Münchner mit einem Musical. Genauer gesagt mit einem Jukebox-Musical. Das ist ein Bühnengenre, das am Broadway erfunden wurde. Bühnenautoren schreiben solche Stücke um einen vorgegebenen Songkatalog herum, der die Stimmung im Theatersaal mit einem Sperrfeuer nostalgischer Schlüsselreize auf den Siedepunkt eines jener Konzerte bringt, als die jeweilige Popmusik noch in den Charts war. "Mamma Mia!" mit der Musik von Abba ist das bekannteste.
Bei "Bussi" sind es die Songs der Neuen Deutschen Welle. Die Handlung dreht sich um den Jurastudenten Ritchie, der gerade aus Augsburg nach München gezogen ist. Im Nachtclub "Bussi" verliebt er sich in die Barkeeperin Stella. Die ist wiederum die Verflossene des Klatschreporters Wolf Wahn. Daraus entspinnt sich eine molièreske Intrigengeschichte, deren Handlung von den Songtexten von Ideal, Nena, Nina Hagen oder Peter Schilling vorangetrieben wird. Der Vorteil bei den Songs der Neuen Deutschen Welle ist natürlich, dass Musicalprofis das besser singen als die Originale. Wenn zum Beispiel Sabrina Weckerlin, Leon van Leeuwenberg und Enrico De Pieri das depressive "Goldener Reiter" von Joachim Witt als Terzett singen, wird aus dem unbeholfen kalten Original eine anrührende Ballade. Überhaupt kann das Stück handwerklich mit den Produktionen am Broadway mithalten. Wobei es mit viel weniger Kalkül und sehr viel mehr Liebe gemacht ist.
Regie und Buch stammen vom Fernsehkomiker Thomas Hermanns, der in Nürnberg aufwuchs. Er verarbeitet da seine Münchner Studentenzeit, als er im Tanzlokal Größenwahn und in der Wunderbar das Großstadtleben probte, bevor er nach New York ging und dort die Stand-up-Comedy entdeckte. "Bussi" ist seine erste Arbeit an einem Staatstheater. Er konnte es auch gar nicht fassen, dass man mit einem dreißigköpfigen Ensemble arbeiten kann, dem sechzehn Näherinnen die Achtzigerjahre auf den Leib schneidern.
Es ist dann auch gerade diese Detailgenauigkeit, die "Bussi" solide in der Popkultur von damals verankert. Ein Kunstgriff, mit dem "Bussi" das Nachtclubgefühl von damals erzeugt, ist das Vorspiel. Da muss sich das Publikum erst vor einem Clubportal drängen. Den Eingang versperrt der Türsteher Schorsch. Die Band spielt schon. Aber Schorsch sieht eben aus wie der Performancekünstler Leigh Bowery, und die Band spielt die Londoner Punkjazzhymne "Papa's Got A Brand New Pigbag". Das ist eine Detailgenauigkeit, die sich dann auch in den Kostümen der Statisten wiederfindet, die zum Defilee des vor allem Londoner Personals der damaligen Gegenwart auftanzen. Aber das war die eigentliche Stärke Münchens, das immer so etwas wie die Luftschleuse des kosmopolitischen Lebens war, in der die Popkultur ein Import blieb.
Ein Happy End hatte natürlich nur das Musical. Bei ihrem Auftritt als bayerische Freiheitsgöttin orakelt Marianne Sägebrecht schon vom Glockenbachviertel der Rekordmieten und dem Ende der Boheme. Die in München kaum Spuren hinterlassen hat. Außer vielleicht die Songs der Spider Murphy Gang. Die brachten das Premierenpublikum bei den Standing Ovations zu erstaunlichem Durchhaltevermögen. Deswegen gab es statt letztem Vorhang dann auch Zugabe.