Biografie:Faustschlag auf den Schädel

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Ohne seine Mäzene hätte er den Durchbruch nicht geschafft: Friedrich Hebbel im Jahr 1855, porträtiert von Carl Rahl. (Foto: mauritius images)

"Der Individualist und seine Epoche": Monika Ritzers umfangreiche Biografie des Dramatikers Friedrich Hebbel über das Individuum im 19. Jahrhundert erscheint genau zur richtigen Zeit.

Von Steffen Martus

Friedrich Hebbel mangelte es nicht an Selbstbewusstsein. Das Drama, seine bevorzugte Gattung, setzte er an die "Spitze aller Kunst" und erteilte sich den welthistorischen Auftrag, das "Brechen der Weltzustände" und die "Geburtswehen der um eine neue Form ringenden Menschheit" literarisch zu gestalten. Das war nichts für schwache Gemüter. Ein Erdbeben, so erklärte Hebbel ex cathedra, lasse sich nun einmal "nicht anders darstellen (...) als durch das Zusammenstürzen der Kirchen und Häuser". Wer dieses Schauspiel nicht ertrug und auf der Bühne versöhnliche Unterhaltung und moralische Ertüchtigung erwartete, den zählte er zum "ästhetischen Pöbel".

Mit dieser Publikumsbeschimpfung im Vorwort zu "Maria Magdalena" reagierte Hebbel auf die Verletzungen, die ihm die Kritik zugefügt hatte. Die Nerven des Autors lagen offenbar blank. Immer wieder bemängelten die Zeitgenossen an seinen Werken das "Disharmonische, Krankhafte, Ungesunde" und verbannten Hebbel aus dem Reich der schönen Kunst. Karl Rosenkranz fand bei ihm gute Beispiele für seine "Ästhetik des Hässlichen" (1853) und sehnte sich angesichts der "Tragik", die in ungelösten und unlösbaren Konflikten verharrte, nach den "reinigenden Schauern der Tragödie". Dennoch feierte der "Dichter der absoluten Häßlichkeit" (Robert Prutz) schon zu Lebzeiten größte Erfolge. "Hebbel ist der Dichter unserer Zeit", jubelte die renommierte Augsburger Allgemeine Zeitun g im Revolutionsjahr 1848. Wie berechtigt dieser Anspruch auf Zeitgenossenschaft war, zeigt nun Monika Ritzers Hebbel-Biografie, die erste seit 100 Jahren.

Aus der Spannung von Außenseitertum und Repräsentationswillen, enthusiastischer Anerkennung und radikaler Verkennung erwuchs eines der größten literarischen Werke der deutschen Literaturgeschichte. Hebbel wollte historische Widersprüche und Unstimmigkeiten nicht schlichten, sondern zeigen, warum wir uns darin befinden. Meister Anton beendet "Maria Magdalena" mit dem Bonmot: "Ich verstehe die Welt nicht mehr!" Die Zuschauer sollten jedoch verstehen, dass diese Verzweiflung angesichts der "Geburtswehen" einer neuen Zeit notwendig war.

Hebbel sah das Drama als ein "künstlerisches Opfer der Zeit", das der Dichter darbringen musste. Die Moderne war fasziniert von dieser existenziellen Abgründigkeit und von Hebbels Künstlerpassion. "Meine Jugend ist mir wie ein Schorf", dichtete Gottfried Benn auf den "Jungen Hebbel", "eine Wunde darunter, da sickert täglich Blut hervor." Tatsächlich hatte Hebbel, 1813 als Sohn einer Handwerkertochter und eines Tagelöhners geboren, zunächst schlechte Karten. Schulden drückten die Familie. Der Vater, von dem Hebbel sich gehasst fühlte, starb mit nur 37 Jahren. Wenngleich seine Eltern nicht in den "sozialen Abgrund" stürzten, "so kletterten sie doch am Rande herum und hielten sich nur mühsam mit blutigen Nägeln fest".

Gefördert von einem Lehrer, begann der Aufstieg des jungen Mannes. Hebbel bahnte sich den Weg in die großen europäischen Metropolen, nach Hamburg, München, Kopenhagen, Rom, Paris, London und Wien. Bis in die 1840er-Jahre führte er eine prekäre Existenz, stets in Bewegung, finanziell unsicher und mit schwankender Karrierekurve. Erst die Heirat mit einer Hofschauspielerin an der Wiener Burg stabilisierte seinen Lebenslauf. Diesen Schritt, so bekannte Hebbel freimütig, habe er gewiss aus Liebe getan, aber der vehemente Ehegegner war auch ein kühler Rechner: "ich hätte dieser Liebe Herr zu werden gesucht (...) wenn nicht der Druck des Lebens so schwer über mir geworden wäre, daß ich in der Neigung, die dieß edle Mädchen mir zuwendete, meine einzige Rettung sehen mußte".

Man sieht: Hebbel versteckt sich nicht und erklärt sich gern selbst. Er war sich sicher, dass sein Nachlass an Lebenszeugnissen "rasch und allgemein" wirken werde, denn er umfasse "die ganze sociale und politische Welt". Schon früh arbeitete er an seiner Autobiografie. Monika Ritzer kann daher auf die reichhaltigen Selbstzeugnisse des Autors zurückgreifen. Sie selbst hat 2017 Hebbels Tagebücher in einer historisch-kritischen Ausgabe vorgelegt. Kafka zählte diese Aufzeichnungen in einem berühmten Diktum zu jenen Werken, die uns "mit einem Faustschlag auf den Schädel" wecken. Sie wirkten auf ihn "wie ein Unglück, das uns schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns".

Tatsächlich bedeutet es für die Biografie Glück und Unglück zugleich, dass Hebbel so sehr an sich selbst interessiert war. Auf der einen Seite eröffnen die Quellen faszinierende Einblicke in Hebbels Befindlichkeiten und in den Alltag einer Dichterkarriere im 19. Jahrhundert. Andererseits muss man aus den Selbstzeugnissen auswählen und zu ihnen analytisch Abstand gewinnen, um Hebbel nicht zu wiederholen. Ritzer aber folgt den Vorgaben ihres Gegenstandes sehr genau. Sie bestätigt Hebbels Selbsteinschätzung als einer repräsentativen Figur in einer Epoche des Umbruchs und wählt wie er "Individualität" als historische Leitkategorie. Hebbel war überzeugt davon, dass man über ihn entweder gar nicht oder im Detail schreiben müsse. Und auch darin folgt ihm Ritzer und referiert sehr genau aus seinen Aufzeichnungen und Briefen.

Das ist oft genug ertragreich, etwa wenn Ritzer das "Ballett sozialer Empfindlichkeiten" nachvollzieht, das Hebbel und Heinrich Heine gemeinsam in Paris aufgeführt haben. Was aber folgt daraus, dass es bei Hebbels Abreise aus Neapel regnet, dass er das Dampfschiff in Triest nur "knapp" erreicht, dass es über Nacht gefriert oder ein ungarischer Husaren-Obrist in die Kutsche zusteigt? Was sagt es über einen Dichter und seine soziale Position aus, dass er seine Beobachtungen in dieser Manier aufzeichnet?

Man versteht jedenfalls, warum Ritzer zumindest in einem Punkt ihrem Helden nicht folgt: Hebbel versprach demjenigen die Krone Polens, der den "Nachsommer" von Anfang bis Ende liest. Er verabscheute die detailversessenen Beschreibungen Adalbert Stifters wie dieser an Hebbel den Sinn für unvermeidbaren Konflikt und Disharmonie. Hier verkannten sich zwei Dichter aufgrund einer Ähnlichkeit, die ihnen unheimlich erschien.

Neben dieser beinahe schon "realistischen" Neigung zum Detail prägt eine zweite Strukturentscheidung die biografische Darstellung: Immer wieder unterbricht Ritzer den Erzählfluss durch kompendiöse Abschnitte, in denen sie einzelne Werke oder Werkaspekte abhandelt. Die Biografie taugt damit auch als Handbuch. Allerdings muss man immer wieder vor- und zurückblättern, um alle zum Verständnis notwendigen Informationen zusammenzutragen.

Der Aufwand lohnt sich jedoch, weil sich dann das Zeitalter der Verbürgerlichung in seiner ganzen Zwiespältigkeit zeigt: Hebbels Karriere beginnt zwar mit den frühen Journalpublikationen in den Medien der bürgerlichen Öffentlichkeit. Ohne seine Mäzenin Amalia Schoppe und die Stipendien, die sie für ihn eingeworben hat, wäre aber womöglich nicht viel aus dem jungen Autor geworden. Der Erfolgt stellte sich also nicht auf dem "freien Buchmarkt" ein, dessen Versprechungen die moderne Fiktion eines autonomen Autorsubjekts befördert. Hebbel empfand die Zuwendungen seiner Mäzene als entwürdigend, obwohl er ohne ihre Unterstützung gescheitert wäre. Für seinen Durchbruch und eine gesicherte Existenz sind schließlich Adlige und höfische Institutionen maßgeblich.

Zu dieser Verquickung von feudalen und bürgerlichen Strukturen passt das Motto, das Ritzer für ihre Biographe gewählt hat: "Jedenfalls ist es besser, ein eckiges Etwas gewesen zu sein, als ein rundes Nichts." Hebbel bekennt sich damit eben gerade nicht umstandslos zu seiner Einzigartigkeit als modernes Subjekt, sondern kommentiert trotzig eine missratene Audienz beim dänischen König Christian VIII. Nach einem weiteren "runden" Auftritt erhält er ein generöses Reisestipendium und widmet dem Monarchen sein "bürgerliches" Trauerspiel "Maria Magdalena". Dies bestätigt Hebbels Überzeugung, dass "der Mensch dieses Jahrhunderts (...) nicht, wie man ihm Schuld gibt, neue und unerhörte Institutionen" will. Bei allem Faible für das "Brechen der Weltzustände" fragte er sich vielmehr, wie man "ein besseres Fundament für die schon vorhandenen" findet. Man mag daher spekulieren, welchen dramatischen Gewinn Hebbel aus den Krisen unserer Zeit erwirtschaftet hätte. Monika Ritzers Biografie dieses epochalen Individualisten kommt jedenfalls genau zur richtigen Zeit.

Monika Ritzer: Friedrich Hebbel. Der Individualist und seine Epoche. Eine Biografie. Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 832 Seiten, 49 Euro.

© SZ vom 18.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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