Michael Moore:Kampf um Amerika

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Für solche Stunts kennt man ihn: Michael Moore besprüht das Haus der Gouverneurs von Michigan mit verseuchtem Leitungswasser. (Foto: Toronto Filmfestival)

Bei der Weltpremiere seines neuen Films "Fahrenheit 11/9" in Toronto macht der Regisseur deutlich, dass Donald Trump nur das Symptom einer Krise ist, aus der die USA nur mühsam herauskommen.

Von Matthias Kolb

Für Michael Moore geht es um mehr als nur um Donald Trump. Nach der umjubelten Weltpremiere seines Dokumentarfilms "Fahrenheit 11/9" in Toronto bittet er einige seiner Protagonisten auf die Bühne. Es sind drei Schüler-Aktivisten von der Highschool in Parkland, Florida, an der ein Amokläufer im Februar 17 Menschen tötete, und die nun für strengere Waffengesetze kämpfen. Als Moore sie als "Generation der Massenschießereien" vorstellt, ruft jemand im Publikum: "Es ist die Generation der Hoffnung." Dieses Wort gefällt Moore überhaupt nicht, weshalb er kontert: "Ich bin gegen Hoffnung. Hoffnung war die Zeit von Obama. Wir brauchen eine Generation der Taten."

Natürlich verfolgt der 64-Jährige mit seinem neuen Film ein klares Ziel. Er will dazu beitragen, dass die US-Wähler bei der Kongresswahl Anfang November die Macht von US-Präsident Trump einhegen. Den bezeichnet er auf dem Plakat als "Tyrannen, Lügner und Rassisten". Vom 21. September an läuft der Film in 1500 US-Kinos, und der Titel ist eine klare Anspielung auf Moores populärstes Werk "Fahrenheit 9/11", das vor der Wahl 2004 erschien und vor dem Republikaner George W. Bush und dessen "Krieg gegen den Terror" warnte.

Im Vergleich zum Anti-Bush-Film ist "Fahrenheit 11/9" reifer und nuancierter. Vor der Abreise zum Toronto International Film Festival hatte Moore erklärt, dass sein Film nicht nur erklären solle, "wie zur Hölle wir in diese Lage kommen konnten", sondern dass er auch Lösungsvorschläge habe. Und so handeln nur die ersten 20 Minuten vom absurden Wahlkampf des Jahres 2016. Meisterhaft montiert der Oscar-Preisträger verstörende Aufnahmen von Trump mit seinem Liebling Ivanka ("Wäre sie nicht meine Tochter, dann wäre ich mit ihr zusammen"), mit Szenen aus TV-Debatten und Talkshows und mit Archivmaterial über Trumps Sexismus und seine seltsamen Immobiliengeschäfte.

"Er hat seine Verbrechen vor den Augen der Öffentlichkeit begangen", spricht Moore staunend aus dem Off, und niemand habe es gemerkt. Sich selbst nimmt er nicht aus von der Kritik. 1998 sei er mit Donald Trump in der Talkshow von Roseanne Barr aufgetreten und habe nur nette Fragen gestellt, weil Trump zuvor gedroht hatte, alles abzusagen. "Er hat mich reingelegt und so bekommen, was er wollte", sagt Moore zerknirscht.

Bill Clinton und Barack Obama haben die Partei der Demokraten von den Bürgern entfernt

"Fahrenheit 11/9" wird dann im Laufe der zwei Stunden immer besser, weil Moore anders als in seinen früheren Filmen nicht im Mittelpunkt steht. Er erwähnt nicht einmal, dass er im August 2016 als einer der Ersten vorhersagte, dass Trump in Michigan, Wisconsin, Pennsylvania und Ohio gewinnen und so das Weiße Haus erobern werde. Stattdessen stellt er vor allem Fragen und gibt jenen Leuten Raum, von denen er hofft, dass sie Amerikas Demokratie retten werden.

Er besucht jene Schüler in Florida, die seit dem Massenmord an ihrer Highschool ein Verbot von Sturmgewehren fordern und gegen die NRA-Lobby kämpfen. Moore trifft Lehrer in West Virginia, die wochenlang streikten, um einen Lohn zu bekommen, der über der Armutsgrenze liegt. "Die meisten Schüler haben mich als Mom in ihren Handys eingespeichert", erzählt eine Lehrerin über den Alltag in einem der ärmsten Bundesstaaten, der von Arbeitslosigkeit und Schmerzmittelmissbrauch geprägt ist, und in dem Bildung den Politikern offensichtlich egal ist. Diese Beispiele illustrieren eine der zentralen Moore-Thesen: "Unser System war schon kaputt, bevor Trump auftauchte."

Viel Zeit widmet Moore seiner Heimatstadt Flint in Michigan, in der sein erster Dokumentarfilm "Roger and Me" (1989) spielte. Seit 2014 ist dort das Leitungswasser für die mehrheitlich schwarze Bevölkerung vergiftet. Wer dafür die Verantwortung trägt, ist klar: Multimillionär Rick Snyder, der vor seiner Wahl zum Gouverneur keine politische Erfahrung besaß und versprach, den Bundesstaat wie ein Unternehmen zu führen.

Snyder senkte Steuern für Firmen und Spitzenverdiener in Michigan, privatisierte Schulen mithilfe von Trumps heutiger Bildungsministerin Betsy DeVos und setzte für arme Kommunen wie Flint Notfall-Manager ein. Es ist skandalös, dass so etwas in einem reichen Industriestaat möglich ist und die Menschen in Flint bis heute Wasser aus Plastikflaschen zum Duschen und Zähneputzen verwenden. "Das habe ich im Irak gemacht", sagt eine schwarze Ex-Soldatin in Moores Kamera. Noch schlimmer ist aber, dass Michigans Top-Politiker und Behördenvertreter Bescheid wussten und nichts unternahmen, um die Gesundheit ihrer Bürger zu schützen.

Hier kommt es auch zu den einzigen Moore-typischen Stunts: Mit einem Tankwagen voller Leitungswasser aus Flint fährt er vor die Residenz des Gouverneurs und bespritzt sie mit einem Feuerwehrschlauch. Auch sein Versuch, Snyder höchstpersönlich wegen Missachtung seines Amtseids zu verhaften (in solchen Fällen ist in den USA ein "citizen's arrest" möglich), scheitert natürlich, aber das Publikum erwartet solche Aktionen von Moore ebenso wie die sarkastischen Kommentare aus dem Off.

Die Statistiken belegen, dass die US-Gesellschaft eigentlich linksliberal tickt

Von Republikanern wie Snyder und Trump erwartet der Oscar-Preisträger längst nichts mehr, aber er fragt: Warum tun die Demokraten nichts? Moore zeigt Archivaufnahmen von Barack Obama, der bei einem Besuch in Flint lächelnd Leitungswasser trank und so die Sicht der Snyder-Regierung stütze, dass alles halb so schlimm sei. "Als er kam, war Obama mein Präsident. Als er fuhr, war er das nicht mehr", sagt eine schwarze Aktivistin. Völlig bizarr wird es, als plötzlich Militärhubschrauber über Flint kreisen und Schüsse fallen: Weil die Innenstadt so heruntergekommen ist, ließ das Verteidigungsministerium 2015 dort Soldaten den Häuserkampf trainieren. Die Anwohner hatte allerdings niemand vorgewarnt. Ein direkter Zusammenhang lässt sich nicht nachweisen, aber Moore verweist darauf, dass 2016 in Flint 8000 Wähler weniger für die Demokraten stimmten als vier Jahre zuvor - Trumps Vorsprung betrug 10 704 Stimmen.

Die Kritik an Obama ("Niemand nahm mehr Spenden von Goldman Sachs an als er") ist scharf, aber noch schärfer attackiert Moore das Parteiestablishment um Nancy Pelosi. "Ich habe diesen Film auch gemacht, weil ich überzeugt bin, dass die alte Garde der Demokraten ein größeres Hindernis ist als Trump", sagte er der Washington Post. Unter Bill Clinton sei die Partei den Republikanern immer ähnlicher geworden, habe Banken dereguliert und den Sozialstaat abgebaut. Seither wirbt sie für Freihandel und nimmt Millionenspenden an.

Moore wirft der Partei-Elite vor, den Willen der Basis zu missachten. Detailliert beschreibt er die Verzerrungen durch das System der "Superdelegates", also jener Parteifunktionäre, die im Vorwahlkampf mitstimmen durften. "Bernie Sanders hat in West Virginia alle 55 Bezirke gewonnen - und beim Parteitag stimmte die Parteiführung für Clinton", berichtet ein frustrierter Aktivist.

Dank Moore kennen bald Millionen in aller Welt jenen unter Linken berüchtigten Mitschnitt zwischen Pelosis Stellvertreter Steny Hoyer und Levi Tillemann, der in Colorado einen Republikaner ablösen wollte. Hoyer versuchte, den progressiven Ex-Berater von Obama zu überreden, seine Kandidatur abzusagen, denn die Parteiführung habe sich wie überall sonst im Land bereits auf einen "moderateren Bewerber" geeinigt, der in der Vorwahl als Einziger von den Spenden und der Infrastruktur profitieren werde. Für Tillemann, der seine Aufzeichnung der Website The Intercept überließ, ist dies inakzeptabel: "Es ist völlig undemokratisch, wenn eine kleine Elite eine Person kürt und die Vorwahl zu deren Gunsten beeinflusst, bevor die Wähler gefragt werden." Moore denkt genauso. Wenn die Demokraten innerparteiliche Konkurrenz verhindern, geben sie den Bürgern das verheerende Signal, dass es egal sei, ob man an Wahlen teilnehme oder nicht.

Diese Entfremdung hat mit dazu beigetragen, dass Trump heute regiert. 100 Millionen Wahlberechtigte blieben 2016 den Urnen fern. Erst wenn diese ihre Politikmüdigkeit überwinden und von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, würden die Abgeordneten jene Entscheidungen treffen, die für die Menschen Priorität haben. Moore lässt eine Statistik nach der anderen über den Bildschirm flimmern, die alle belegen, dass die US-Gesellschaft eigentlich linksliberal tickt und es deutliche Mehrheiten gibt für einen höheren Mindestlohn, bezahlbare Bildung oder eine Krankenversicherung für alle. Die Demokraten, so der Oscar-Preisträger, müssten endlich umsteuern und die Republikaner mutig herausfordern.

Für kontroverse Debatten und Anfeindungen von konservativen Medien dürfte das Ende von "Fahrenheit 11/9" sorgen, denn hier vergleicht Moore den Erfolg von Trump mit dem Aufstieg von Adolf Hitler und lässt den Yale-Historiker Timothy Snyder ausführlich zu Wort kommen. Trump sei kein Massenmörder wie der NS-Diktator, aber die Ähnlichkeiten seien eben trotzdem verblüffend, sagt Snyder. Hitler nutzte die neuen Medien - damals Radio und Fernsehen - besser als die Konkurrenten, und die Eliten waren lange überzeugt, die NSDAP kontrollieren zu können. Moore will seine Zuschauer dafür sensibilisieren, was Trump mit seinen Attacken auf Medien, Opposition und Justiz vorhabe. Es gehe darum, Kritiker zu diskreditieren und kontrollierende Institutionen zu delegitimieren.

Anhand der harschen Attacken verwundert es fast, dass Moore bisher nie zur Zielscheibe der Tweets von @realdonaldtrump wurde. Im Hollywood Reporter hat der Dokumentarfilmer dafür seine eigene Erklärung genannt: "Trump weiß, dass seine Anhänger und meine Fans in Middle America oft die gleichen Leute sind. Wenn er mich beleidigen würde, dann könnte ihm das bei denen weißen Arbeitern schaden, die wissen, dass ich seit Jahrzehnten für sie kämpfe."

Ob Moore mit dem Film wirklich Trump-Wähler im Rostgürtel erreichen oder gar umstimmen wird, ist unklar. Aber "Fahrenheit 11/9" trifft die richtige Mischung aus Wut und Analyse, sodass er wenigstens das linksliberale Amerika erneut aufrütteln und inspirieren könnte. Und Moore wird dem Ehrentitel gerecht, den ihm der Hollywood Reporter gerade verpasst: Er sei ein "public intellectual", wie es früher Norman Mailer oder Gore Vidal gewesen seien. Doch während diese früher in Fernsehdiskussionen für ihre Anliegen warben, nutze Moore nun neben seinen Filmen nahezu täglich Twitter und Facebook, wo ihm knapp zehn Millionen Menschen folgen. Und in allen Beiträgen dort wird klar, dass Michael Moore auch nicht Ruhe geben wird, wenn Trump nicht mehr Präsident sein wird. Die Frage, wie man dieses Amerika retten solle, sei falsch gestellt, sagt Moore am Ende des Films: "Das Amerika, das ich retten will, gibt es noch gar nicht."

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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