#MeToo:Teufelskreis

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Erstmals werden in der Debatte auch Männer und Institutionen beschuldigt, die in den Vereinigten Staaten bislang gesellschaftliche Vorbildrollen innehatten.

Von Andrian Kreye

"Dustin Hoffman hat mir das Herz gebrochen", begann der Sexualpädagoge Ran Gavrieli am Sonntag seinen Ted Talk bei der Münchner Ausgabe der TedX-Konferenz. "Nicht der auch noch." So wie dem jugendlich wirkenden Israeli geht es derzeit vielen, die im Kielwasser der "#MeToo"-Debatte den Bestand ihrer kulturellen Helden fast täglich reduzieren müssen, weil die Anschuldigungen sexueller Übergriffe meist sofort zu einer öffentlichen und im Falle von Kevin Spacey und Louis C. K. auch zu einer beruflichen Ächtung führen.

In den letzten Tagen gab es wieder neue Fälle, mit der Eskalationsstufe, dass es nun auch solche Männer und Institutionen erreicht, die in den USA eigentlich gesellschaftliche Vorbildrollen spielten. Das waren der Hip-Hop-Mogul Russell Simmons, als erster schwarzer Milliardär mit bürgerrechtlichem Kampfgeist bisher eine amerikanische Lichtgestalt. Der Schauspieler Jeffrey Tambor, der in seiner Rolle als Maura Pfefferman in der Serie "Transparent" in Amerika die Akzeptanz der Transgender-Gemeinde voranbrachte. Der ehemalige Komiker und progressive Senator Al Franken. Und die Ted Conference selbst, jene gemeinnützige Organisation, die ein weltweites Netz von Ideenfestivals aufgebaut hat, bei denen Kurzvorträge gehalten werden, die dann als Internetvideos zu Memes mit intellektuellem Anspruch werden. Und die vor allem einen Wertekanon vom positiven Wandel transportieren, der von den Technologien über die Wissenschaften bis zu Menschenrechten sehr viele Bereiche abdeckt.

Das war an diesem Nachmittag in den Münchner Kammerspielen zwar nicht explizit Thema, schwelte aber dennoch permanent mit. Die Washington Post hatte am Freitag einen Bericht veröffentlicht, demzufolge es bei der zentralen Ted Conference in Vancouver im Frühjahr zu physischen Übergriffen gekommen ist. (Die Original-Ted trägt kein X im Titel wie die unabhängigen Ableger, und wird vor allem von Menschen aus den Kreativindustrien besucht, die sich die zehntausend Dollar Eintritt leisten können, von denen dann wiederum die kleinen Ableger finanziert werden). Außerdem soll es zu verbalen Vorfällen im Management gekommen sein.

Nun ist Ran Gavrieli ein Paradebeispiel für den aufgeklärten Mann. Bekannt wurde er mit seinem Ted Talk "Why I Stopped Watching Porn" (Warum ich aufhörte, Pornos zu schauen). Das hat ihm mehr als 17 Millionen Youtube-Klicks und eine Einladung nach Harvard eingebracht. Ansonsten gibt er Kurse, wie man aggressives Geschlechterverhalten befrieden kann. Auch in München zog er die Linie von Internetpornos, die schon von Elfjährigen konsumiert werden, zur sexuellen Gewalt, die derzeit die Debatte bestimmt.

Nach ihm hielt die Direktorin der Münchner Boston-Consulting-Filiale, Rocío Lorenzo, einen beeindruckend deprimierenden Vortrag darüber, dass Bildung und Kompetenz Frauen in europäischen Chefetagen immer noch nicht weiterbringt. Es war also ein Nachmittag, bei dem die relevanten Themen der Geschlechterbeziehungen auf hohem Niveau verhandelt wurden.

Beunruhigend ist, dass die Ted Conference das Problem schon lange erkannt und Maßnahmen dagegen ergriffen hat. So wurde der Anteil weiblicher Teilnehmerinnen von 25 auf 40 Prozent erhöht. Strenge Verhaltensregeln gibt es schon länger, Übergreifer wurden mit Hausverbot davongejagt. Weitere Maßnahmen sind geplant.

Dass es trotzdem noch zu Übergriffen kam, zeigt, dass es keine einfachen Lösungen geben wird. Ein Kulturwandel bahnt sich an. Doch wenn nun ausgerechnet die Kräfte von der Debatte angeschlagen werden, die diesen Wandel vorantreiben könnten, während sich die Übeltäter aus konservativeren Kreisen aus der Affäre lügen? Dann baut sich ein Teufelskreis auf, aus dem es zunächst einmal keinen Ausweg gibt.

© SZ vom 21.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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