Memmingen:"Schwein gehabt"

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Nach 19 Jahren verlässt Intendant Walter Weyers das Landestheater Schwaben

Von Egbert Tholl, Memmingen

Wenn man Walter Weyers sagt, bei uns der Redaktion gebe es einige, die ihn für ziemlich wahnsinnig halten, guckt er zuerst erstaunt, dann breitet sich ein wohliges Grinsen in seinem Gesicht aus. Ob man das ernst meine? Ja, man meint das ernst. Weil Weyers 19 Jahre lang als Intendant des Landestheaters Schwaben, dessen vor sechs Jahren grandios erweitertes Stammhaus im proper herausgeputzten Memmingen liegt, Theater gemacht hat, das man über weite Strecken kaum in einer 40 000-Einwohner-Stadt erwarten würde.

Mit "Hamlet" trat er an, mit den "Rosenkriegen" hört er auf. Weyers' Inszenierung der zu einem vierstündigen Abend zusammengebauten Shakespeare-Dramen um Heinrich VI. plus ein bisschen "Richard III." ist sein noch ein paar Tage lang sichtbares Vermächtnis; dazu kommt die "Walter Weyers Abschiedsshow" am 9. Juli mit Buffet, Party und überhaupt. An der Existenz dieser Show an sich könnte man gleich auch etwas anderes bemessen, was in der Außenwahrnehmung zu Weyers dazugehört. Eine Aura, die auch ein bisschen zwischen Guru und König liegt, auch wenn der durchtrainierte Charmeur sicherlich ein Menschenfänger ist, wobei sich keineswegs alle, die mit ihm arbeiteten, von ihm fangen ließen. Zum Ende der Ära erschien ein dicker, großer Prachtbild- und -textband. Auf dem Cover Weyers selbst, grübelnd, in sich gekehrt, die Augen geschlossen, die Linke vor dem Gesicht. Weyers, wie er sich sieht. Als Denker. Nicht ganz falsch, aber vielleicht auch das, was manchen erregte. Denn es wirkt eitel.

Michaela Fent, Chris Urwyler und Julian Ricker in Weyers' Abschiedsinszenierung der "Rosenkriege. (Foto: Forster)

Weyers konnte den Einwohnern von Memmingen und den vielen kleinen Orten, die das Landestheater mit Abstechern in die Umgebung mit Theater versorgt, erstaunliche Sachen vorsetzen: Heavy-Metal-Opern, die vielleicht sogar als Erfindung eines Genres durchgehen, philosophische Gespräche, eine Werner-Fritsch-Uraufführung über den Supermarkt auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg. Die fand auf dem ehemaligen Starfighter-Flughafen bei Memmingen statt. Weyers holte behinderte Menschen, Asylbewerber und Strafgefangene auf die Bühne, erfand eine Afrika-Trilogie, die Kindersoldaten in den Fokus rückte. Es gab Artauds "Theater der Grausamkeit" ebenso wie Heiner Müller oder Fassbinder.

Weyers konnte dem Publikum vieles vorsetzen, auch seine Frau Joséphine, die er, auf Vorschlag seines Oberspielleiters, wie er im Gespräch betont, als PR-Chefin installierte - offenbar durchaus zum Segen des Hauses, folgt man Weyers. Eigentlich ist die Gattin Schauspielerin und Sängerin, auch bei den "Rosenkriegen" ist sie dabei, als Beaufort, als eine Art Ultrakardinal, streng, tönend, als rufe ihre Stimme aus einem anderen, längst vergangenen Jahrhundert der Schauspielerei herüber. Wie überhaupt die ganzen "Rosenkriege" eine eher spröde Veranstaltung sind. Weyers will Machtmechanismen sezieren, inszeniert "Game of Thrones" im Gewande von "House of Cards". Ein bisschen wirkt das wie Luk Percevals "Schlachten" im Allgäu, nur fehlen hier Blut, Schweiß und Tränen. Statt dessen gibt es der Worte vieler, ausgestellt auf weißer, leerer Bühne wie Fundstücke aus dem Sprechseminar.

Intendant Walter Weyers. (Foto: Forster)

Landestheater, das bedeutet einen Etat von 3,1 Millionen Euro, zwölf Schauspieler im Ensemble, 13 Eigenproduktionen im Jahr - "weniger Geld darf's nicht werden, dann geht es nicht mehr". Die Zahlen sind aber nicht das Entscheidende, das ist bei Weyers schon der Inhalt. Erzählt er von diesem "Drittel seines Lebens", das er, in ländlicher Abgeschiedenheit wohnend, in Memmingen verbracht hat, dann kehren immer zwei Aspekte wieder - das Publikum in Memmingen und was dieses bereit ist mitzumachen: "Hier gibt es eine ungewöhnlich hohe liberale Qualität." Und, zweiter Aspekt, so Produktionen wie eine Lesung von Briefen aus Guantanamo, zu der er Henryk M. Broder aus Prag ankarrte, der nur schimpfte, aber halt doch teilnahm.

"Ich habe jetzt 38 Jahre Theater gemacht, und ich habe echt Schwein gehabt mit dem Vertrauen, das mir hier entgegen gebracht wurde."Als Intendant geht er nun in Ruhestand, aber "als Künstler nicht". Und sagt dann doch auch, dass ein Riesenvorteil des Intendanten-Berufs sei, dass man seine eigenen Projekte selbst gestalten kann. In Memmingen genoss er völlige künstlerische Freiheit. Und Memmingen freute sich.

© SZ vom 05.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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